Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.23

 

Aus dem Zuchthaus Gollnow sollen die ungefährlichen Gefangenen zur gegebenen Zeit entlassen werden. Die Prüfung soll insbesondere bei politischen Gefangenen (auch Heimtücker) einschränkend sein. Alle Entlassungen haben unauffällig zu erfolgen. Die Prüfung, ob ein Gefangener ungefährlich ist, soll entsprechend dem Vorschlag des Reichsverteidigungskommissar im Benehmen mit Herrn Pietsch und ausserdem mit dem höheren SS- und Polizeiführer Stettin erfolgen. Die politisch wichtigen Gefangenen sind möglichst sofort abzutransportieren, insbesondere politisch wichtige Tschechen.

Alle nicht entlassenen Gefangenen, deren Abtransport im Räumungsfalle nicht möglich ist, sind in diesem Augenblick der Polizei zu überstellen.

2. Diese Anordnung wird inhaltlich versuchsweise durch Kurier nach Stettin gebracht und ausserdem dem RSHA zur Übermittlung an den Generalstaatsanwalt durchgesagt werden. Ferner wird versucht, Generalstaatsanwalt Stettin auch telefonisch zu unterrichten.

 

Berlin, den 3.Februar 1945

gez. Klemm"

 

Es folgen mehrere handschriftliche Zeichen.

 

Aus diesem Vermerk geht hervor, dass es für die Behandlung der Gefangenen - und das stimmt mit den Richtlinien überein - 3 Möglichkeiten gab. Ein Teil der Häftlinge konnte entlassen werden. Ein weiterer Teil war abzutransportieren. Alle übrigen Gefangenen waren der Polizei zu überstellen. Hiernach ist das Schwurgericht der Überzeugung, dass dem Staatssekretär Klemm das Schicksal der der Polizei überstellten Gefangenen bekannt gewesen ist. Diese waren durch die Polizei zu "beseitigen". Alle entgegenstehenden Behauptungen Klemms sind unglaubhaft. Diese Behauptungen werden nur unter Berücksichtigung dessen verständlich, dass Klemm im Nürnberger Prozess (Militärgericht III) wegen der Vorgänge in Sonnenburg verurteilt worden ist. Klemm hat in den folgenden Jahren nichts unversucht gelassen, sich von diesem Vorwurf nachträglich zu befreien. Der vorzitierte Vermerk legt nach Ansicht des Schwurgerichtes nur dar, dass der Zeuge Klemm Kenntnis vom Schicksal der Gefangenen in Gollnow hatte, besagt aber nichts darüber, ob diese Kenntnis sich auch auf die Gefangenen von Sonnenburg bezogen hat.

 

Auch der verstorbene Zeuge, Senatspräsident Hec., Sachbearbeiter der Abteilung V im Reichsjustizministerium und im Januar/Februar 1945 innerhalb der Gruppe Strafvollzug zuständig für die Belegung der Anstalten und die Verlegung von Gefangenen aus einer Anstalt in die andere will die ihm im Nürnberger Juristenprozess vorgelegten Richtlinien während seiner Tätigkeit nicht kennengelernt haben. Er will sie erstmalig bei einer Vernehmung zur Kenntnis genommen haben. Er gibt jedoch zu, dass diese Richtlinien in der Abteilung V bearbeitet worden sind. Der Zeuge gibt allerdings zu, selbst Richtlinien entworfen zu haben. Diese Ausarbeitungen, die nicht mit den in diesem Prozess vorliegenden Richtlinien übereinstimmen, seien bei Besprechungen entstanden, die mit Generalstaatsanwälten im Norden und im Westen erfolgt seien. Hierbei hätten sich gewisse Richtlinien herausentwickelt, die jedoch nur Fingerzeige hätten geben können. Die Durchführung der einzelnen Massnahmen sei Sache der Generalstaatsanwälte gewesen. Auf eine dem Zeugen gestellte Frage nach dem Verbleib der nicht verlegten Gefangenen, antwortete er nur allgemein, ohne auf den Sinn dieser Frage, nämlich die Tötung von Gefangenen, einzugehen.

 

Die Aussagen dieses Zeugen sind nicht überzeugend. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge bei seiner Stellung innerhalb des Ministeriums die vorliegenden Richtlinien selbst entworfen oder bei der Entwerfung mitgearbeitet hat, und dass er diese schliesslich auch verwandt hat. Die Angaben, es hätten sich ähnliche Richtlinien bei Besprechungen entwickelt, die er dann niedergelegt hätte, ist wenig überzeugend, wenn zugleich sein Abteilungsleiter