Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.013b OLG Kiel 21.03.1946 JuNSV Bd.I S.215

 

Lfd.Nr.013b    OLG Kiel    21.03.1946    JuNSV Bd.I S.216

 

Nach Art.II 4b befreit die Tatsache, dass jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten gehandelt hat, den Täter nicht von der Verantwortlichkeit, sie kann aber strafmildernd berücksichtigt werden. Durch diese neuen, vom Gericht zu beachtenden Bestimmungen, wird die rechtliche Beurteilung, wie sie von der Strafkammer vorgenommen ist, wesentlich verändert.

 

Die beiden Angeklagten Hay und F. sind deshalb freigesprochen worden, weil sie einem ihnen vom Mitangeklagten W. gegebenen Dienstbefehl nachgekommen sind und die Strafkammer die Voraussetzungen des §47 Militärstrafgesetzbuches nicht für gegeben angesehen hat, dass ihnen bekannt gewesen sei, dass der Befehl ihres Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. Diese Begründung kann nunmehr nicht aufrecht erhalten werden.

 

Beim Angeklagten W., hinsichtlich dessen das Vorliegen eines Mordes im Sinne des §211 StGB bedenkenfrei verneint worden ist, hält sich zwar die ausgesprochene Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung im Rahmen der anzuwendenden neuen rechtlichen Beurteilung. Es erhebt sich indes die Frage, ob und wieweit sich diese abweichende Beurteilung auf die Strafzumessung ausgewirkt haben würde, ob die Strafkammer, die in der Ablehnung der Berufung des Angeklagten W. auf den Führerbefehl von ganz anderen Erwägungen ausgegangen ist, dem Angeklagten W. überhaupt und in welchem Umfange noch mildernde Umstände zugebilligt und ob sie es bei der erkannten Strafe hätte bewenden lassen. Bei dem Angeklagten W., der unter der - nicht richtig verstandenen - von Hitler als Oberbefehlshaber des Heeres und Träger der Staatsgewalt erteilten Anordnung und damit eines Befehls im Sinne des Art.II 4b des Gesetzes des Kontrollrats Nr.10 gehandelt hat, war hinsichtlich der grundsätzlichen Verantwortlichkeit die gleiche Lage gegeben, wie bei den auf seinen Befehl handelnden Mitangeklagten Hay und F. Die angefochtene Entscheidung war daher nebst den zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich sämtlicher Angeklagten aufzuheben.