Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.013a LG Kiel 03.01.1947 JuNSV Bd.I S.209

 

Lfd.Nr.013a    LG Kiel    03.01.1947    JuNSV Bd.I S.213

 

starken Affekt zu der Tat hinreissen. Zwar deuten seine am Vorabend zu dem Zeugen J. gemachten Äusserungen: "Der wird morgen umgelegt" auf einen vorgefassten Entschluss hin. Das Gericht ist jedoch der Ansicht, dass diesen Worten kein entscheidender Wert beizulegen ist, da der Angeklagte damals stark unter Alkoholeinwirkung gestanden hat. Die Zeugen haben denn auch seine Worte nicht für ernst genommen. Sie zeigen jedoch, dass er sich innerlich mit der Person des Roos, in dem er einen entschiedenen politischen Gegner erkannt hatte, stark beschäftigt hat. Da der Angeklagte sich somit vorwiegend durch den Vorwurf der Feigheit zu der Tat hat hinreissen lassen, so fehlt hier die besondere Verwerflichkeit im Sinne des §211 StGB. Es liegt somit nur Totschlag vor (§212 StGB).

 

Seine Handlungsweise ist durch den Führerbefehl nicht gedeckt. Dieser Befehl sollte nur für einen unmittelbaren Kampf Geltung haben, in dem es auf härtesten und letzten Einsatz der Truppe ankam. Diese Voraussetzungen lagen aber nicht mehr vor, zwar erfolgten noch Luftangriffe des Feindes auf die Schiffe und es fielen kurz nach der Tat noch Bomben in unmittelbarer Nähe der "Adria". Aber schon am Tage vorher waren sämtliche Waffen vernichtet worden, sodass eine Gegenwehr nicht mehr in Frage kam. Das Gericht ist ferner der Überzeugung, dass der Angeklagte sich darüber auch im klaren war, dass er auf Grund diesen Befehls Roos nicht ohne weiteres erschiessen durfte. Er hatte in dessen Verhalten am Vortage, das sich inhaltlich wenig von dem unmittelbar vor der Tat gezeigten unterschied, keinerlei Anlass, zu dessen Erschiessung gefunden. Er hatte sich vielmehr nur vorgenommen, mit ihm am nächsten Tage in Ruhe zu sprechen. Es war daher nicht so, dass er sich aufgrund dieses Befehls zu der Erschiessung für verpflichtet, oder doch zumindest für berechtigt gehalten hat, sondern dieser Führerbefehl diente ihm nur dazu, um seine Tat vor sich selbst zu rechtfertigen und zu beschönigen. Dafür spricht auch die Art und Weise ihrer Ausführung. Andernfalls hätte es nämlich nahegelegen, dass er Roos unter Beachtung gewisser Formen standrechtlich hätte erschiessen lassen. Da er somit aufgrund des Führerbefehls nicht gehandelt hat, kommt es nicht darauf an, dass nach den rechtlichen Ausführungen des Oberlandesgerichts, an die das Gericht insoweit gebunden ist, Artikel II 4b des Gesetzes des Kontrollrats Nr.10, hier Anwendung findet, nach dem die Tatsache, dass jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten gehandelt hat, den Täter nicht von der Verantwortlichkeit befreit.

 

Was seine Zurechnungsfähigkeit anbelangt, so befand er sich zwar im Augenblick der Tat in einer schweren Erregung. Nach dem Gutachten des Professors Dr. Ha. führen aber bei sonst intakten Persönlichkeiten auch hochgespannte Affekte nicht zu echten Bewusstseinsstörungen. Der Angeklagte sei, so führt der Sachverständige aus, ein dem Durchschnitt einzuordnender, mittelbegabter Mann, dessen klar zugestandene Überlegung und Erinnerung an seine Vorstellungen bei der Tat der Annahme entgegenstünden, dass er den Befehl zur Erschiessung in einem bewusstseinsgestörten Zustande gegeben habe. Die Voraussetzungen des §51 Absatz 1 und 2 54 seien daher nicht gegeben. Das Gericht hält deshalb den Angeklagten für die Tötung des Roos in vollem Masse für verantwortlich. Da Hay. und F. auf seinen Befehl gehandelt haben, so hat er sich als mittelbarer Täter eines Totschlags schuldig gemacht (§212 StGB).

 

Das Gericht hat dem Angeklagten jedoch die Strafmilderung des §213 StGB zugebilligt. Es ist der Ansicht, dass er ohne eigene Schuld durch eine ihm von Roos zugefügte schwere Beleidigung zum Zorn gereizt und auf der Stelle zu der Tat hingerissen worden ist. Als ehrgeiziger Soldat musste der Angeklagte den Vorwurf der Feigheit vor dem Feinde als eine schwere Kränkung empfinden. Die starke Erregung über diesen Vorwurf - nach seinen Angaben war er seiner selbst nicht mehr mächtig - hat er sich auf der Stelle zu der Tat hinreissen lassen. Er hat dem Roos auch keine genügende Veranlassung zu seiner Kränkung gegeben. Er hat ihn zwar mit "Heil Hitler" gegrüsst. Es war aber nicht festzustellen dass er dieses in provozierender Form getan hat. Das Gericht hat dem Angeklagten auch andere mildernde Umstände zugebilligt. Wie bereits dargelegt, stand er völlig unter dem Bann der amtlichen Propaganda. Als die Lage bereits hoffnungslos geworden war, versuchte die damalige Führung das Ende dadurch herauszuzögern, dass sie die rücksichtslose Beseitigung von

 

54 StGB.