Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.013a LG Kiel 03.01.1947 JuNSV Bd.I S.209

 

Lfd.Nr.013a    LG Kiel    03.01.1947    JuNSV Bd.I S.211

 

Flaksoldaten an ihn heran, von denen einer fragte, wer der neue an Bord gekommene Zivilist sei. Dieser habe ihn aufgefordert, die Waffen wegzuwerfen und die Offiziere weiterkämpfen zu lassen, wenn sie es wollten. Der Soldat fügte hinzu, er würde den Zivilisten sofort umgelegt haben, wenn er eine Waffe bei sich gehabt hätte. Der Angeklagte gibt an, er habe sich lediglich vorgenommen, am nächsten Tage ruhig mit Roos zu sprechen.

 

Am Abend des 3.Mai lud Kapitän H. seine Schiffsoffiziere zu einer Besprechung der allgemeinen Lage in die Messe der Adria ein. Der Angeklagte war auf ausdrückliche Einladung des Kapitän erschienen, nachdem er vorher bei seinen Soldaten, die in ihren Decks Abschied feierten und dabei die letzten noch an Bord befindlichen Alkoholbestände leerten, einige Glas Schnaps getrunken hatte. In der Kapitänsmesse gab es ebenfalls Schnaps zu trinken. Ob der Angeklagte und Roos im Laufe des Abends miteinander gesprochen haben, steht nicht fest, keinesfalls gab es zwischen ihnen eine Auseinandersetzung. Als sich nach Beendigung des Zusammenseins der ziemlich stark angetrunkene Angeklagte von dem leitenden Ingenieur J. verabschiedete, äusserte er überraschend in Beziehung auf Roos, dass er ihn noch einmal umlegen werde. Diese Worte wiederholte er mehrmals. Der Zeuge J. will jedoch die fraglichen Äusserungen mit Rücksicht auf die Trunkenheit des Angeklagten nicht ernst genommen haben. Der Angeklagte selbst will sich an den Vorfall nicht mehr erinnern können.

 

Am nächsten Morgen erschien er erst etwa 1/2 Stunde später als sonst zum Frühstück in der Messe der Schiffsoffiziere. Als er sich gegen 8.30 Uhr von der Messe zu seiner Kammer begeben wollte, traf er Roos, der einen Mantel holen wollte, um mit dem Kapitän an Land zu fahren. Nach seinen glaubhaften unwiderlegbaren Angaben hat sich darauf folgender Wortwechsel zwischen ihnen zugetragen:

 

Der Angeklagte grüsste wieder mit "Heil Hitler". Roos verwies ihm dies mit den Worten: "Ich habe Ihnen doch schon gestern gesagt, wohin uns dieser Gruss gebracht hat". Der Angeklagte erwiderte erregt: "Sie haben gestern meine Soldaten aufgehetzt und ihnen zugeredet, sie sollen nicht mehr weiterkämpfen. Ich verbiete Ihnen, sich in Zukunft mit meinen Soldaten zu unterhalten". Roos antwortete: "Sie haben mir garnichts zu verbieten". Als der Angeklagte ihm vorhielt, dass er die Offiziere als Massenmörder bezeichnet habe und dies genüge, ihn zu verhaften und erschiessen zu lassen, antwortete Roos, der ebenfalls erregt wurde: "Diejenigen, die bis jetzt haben verhaften lassen, kommen jetzt selbst ins KZ; und die, die Befehle zum Erschiessen gegeben haben, kommen jetzt an den Galgen". In grosser Erregung rief jetzt der Angeklagte: "Jetzt haben Sie zu viel gesagt, ich lasse Sie verhaften". Roos erwiderte höhnisch lachend: "Sie haben gar keine Waffen mehr, Sie haben ja ihre Waffen vernichten lassen, noch bevor der Feind zu sehen war. Das nennt man Feigheit vor dem Feinde". Mit den Worten: "Du Schuft, das musst Du büssen", griff der Angeklagte nach hinten. Er wollte seine Pistole ziehen, merkte jedoch, dass er sie nicht bei sich hatte. Er rief im gleichen Augenblick zu dem in der Nähe gelegenen Deckshaus, in welchem 17 Mann seiner Flakbesatzung untergebracht waren: "Sofort 2 Mann umgeschnallt mit Gewehr heraustreten, es ist einer umzulegen". Auf seinen Ruf kam der Matrose F. und der Obergefreite Hay. 52 heraus, letzterer mit einem Gewehr. Sie sahen, dass der Angeklagte mit Roos vor dem Niedergang zu dessen Kammer in ein Handgemenge geraten war. Der Koch Scholz war Augenzeuge des letzten Teils dieses Vorfalls gewesen. Auf seinen aufgeregten Ruf: "Kommt rauf, Euer Chef wird umgelegt" waren einige Mitglieder der Zivilbesatzung, darunter die Heizer T. und Stolzenburg an Deck gestürmt, wagten aber nicht, einzugreifen. Der Angeklagte teilte Hay. und F. hastig mit, Roos habe den Führer beleidigt und sei ein Verräter, der erschossen werden müsse. Der Angeklagte und Roos waren in dem Handgemenge zu Fall gekommen, F. riss Roos zurück und versetzte ihm einen Kinnhaken. Der Angeklagte packte nunmehr den am Boden liegenden Roos am Arm und an der Brust, während F. den anderen Arm festhielt. Neben der Gruppe stand Hay., der das Gewehr auf Roos gerichtet hielt. Roos versuchte sich freizumachen und rief die in der Nähe befindlichen Besatzungsmitglieder um Hilfe. Diese wagten jedoch nicht einzugreifen, da sie um ihr eigenes Leben besorgt waren. Als Hay. zu schiessen zögerte, rief ihm der Angeklagte zu, er

 

52 F. und Hay. wurden durch Urteil des LG Kiel vom 12.12.1945 freigesprochen. Dieses Urteil wurde am 21.3.1946 vom OLG Kiel aufgehoben. Das Verfahren gegen F. und Hay. wurde abgetrennt und am 8.10.1954 vom LG Kiel eingestellt; siehe Lfd.Nr.013b und 013c.