Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.013a LG Kiel 03.01.1947 JuNSV Bd.I S.209

 

Lfd.Nr.013a    LG Kiel    03.01.1947    JuNSV Bd.I S.209

 

2 KLs 2/45

 

Im Namen des Rechts

 

 

Strafsache gegen

 

den Bootsmann W., geb. am 5.Dezember 1899 in Weissenhorn, verh., angeblich nicht vorbestraft. z.Zt. in U-Haft,

 

wegen Totschlags.

 

Die II. Strafkammer des Landgerichts in Kiel hat in der Sitzung vom 3.Januar 1947 für Recht erkannt:

 

Der Angeklagte W. hat am 4.Mai 1945 in Laboe als Flakeinsatzleiter an Bord eines Tankers einen Zivilisten erschiessen lassen.

Er wird deshalb wegen gemeinschaftlichen Totschlags zu einer Gefängnisstrafe von 6 Jahren kostenpflichtig verurteilt.

Die Untersuchungshaft wird angerechnet.

 

 

GRÜNDE49

 

Der Angeklagte ist am 11.Dezember 1945 50 von der Strafkammer des Landgerichts in Kiel wegen Totschlags zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auf die hiergegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts in Kiel am 21.März 1946 das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Strafkammer zurückverwiesen. In der erneuten Hauptverhandlung ist aufgrund der eigenen Angaben des Angeklagten, der Aussagen der Zeugen, des Kapitäns H., des kaufmännischen Vertreters R., des Heizers T., des Schlossers K., des Arbeiters Wo. und des Schiffsingenieurs J. und des Sachverständigengutachtens des Professors Dr. Ha. folgender Sachverhalt festgestellt worden:

 

Der Angeklagte ist als Sohn eines Gastwirts in Weissenhorn in Bayern geboren. Er besuchte die Volksschule und, da er gut lernte, die Oberrealschule, die er ein Jahr vor dem Einjährigen 51 verliess. Am 1.April 1918 wurde er zur Kriegsmarine eingezogen und tat auf Torpedo- und Minensuchbooten Dienst. Als er 1923 als Obermatrose entlassen wurde, trat er bei der Handelsmarine ein. Er fuhr zunächst bei Hamburger Reedereien und später auf ausländischen Schiffen. Mit seinen Ersparnissen ging er 1930 nach Deutschland, verlor sein Geld jedoch in der damaligen Wirtschaftskrise bei einer Metallwarenfabrik. Nach zeitweiliger Arbeitslosigkeit schlug er sich als Kraftfahrer in Holland durch. Im Jahre 1932 erhielt er Arbeit bei der Reederei Essberger in Hamburg und fuhr bis 1939 als Bootsmann auf verschiedenen Schiffen dieser Reederei. Am 14.August 1939 wurde er zu einer Übung bei der Kriegsmarine einberufen. Er ist seit dieser Zeit ununterbrochen Soldat. Seit 1940 war er auf mehreren Tankern als Führer der Bordflak eingesetzt. Er ist mit dem EK II. Klasse und dem Blockadebrecher- und Minensuchabzeichen ausgezeichnet worden. Gerichtlich ist er unbestraft und hat auch während seiner gesamten Dienstzeit keine Disziplinarstrafe erhalten.

 

Der Angeklagte ist seit 1942 kinderlos verheiratet, seine Ehefrau lebt in Berlin. Am 20.April 1945 hatte er von ihr einen Brief erhalten, in dem sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie sich vergiften würde, wenn die Russen nach Berlin kämen.

 

49 Mit dem Gegenstand dieses Verfahrens befasst sich auch das ostdeutsche Verfahren Nr.1211, veröffentlicht in der Urteilssammlung DDR-Justiz und NS-Verbrechen Bd.V S.161 ff.

50 Laut Urschrift jenes Urteils richtig: 12.Dezember 1945.

51 heutige Bezeichnung: mittlere Reife.