Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.012b OLG Kiel 26.03.1947 JuNSV Bd.I S.196

 

Lfd.Nr.012b    OLG Kiel    26.03.1947    JuNSV Bd.I S.205

 

muss der Vollzugsbeamte mit allen Mitteln des Staates bei dem Vollzug geschützt werden. Es geht nicht an, den Streit um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Urteils am Leben des Vollzugsbeamten über den Notstandsparagraphen auszutragen. Die Idee des Rechtsstaates und die Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens gebieten es, dass jeder Rechtsstreit einmal beendet wird. Dafür muss das geringere Übel in Kauf genommen werden, dass nämlich in Ausnahmefällen auch fehlerhafte Urteile vollstreckt werden. Diese Grundgedanken gebieten den Ausschluss des Notstandes gegenüber der Vollstreckung richterlicher Urteile. Die Gerichte müssen diesen Grundsatz ohne rücksicht auf die Art der Staatsführung durchsetzen, auch wenn es sich um eine Staatsführung handelt, die einen völkerrechtswidrigen Krieg führt Verbrechen begangen hat. Auch hier gilt aber die Beschränkung, dass es sich um ordnungsmässige gerichtliche Urteile handeln muss. Gegenüber anderen Verwaltungsakten, etwa einem polizeilichen Befehl zur Vergasung in einem Konzentrationslager, gelten diese Grundsätze nicht.

 

Der Putativnotstand schliesslich ist nur von Bedeutung, wenn ein Irrtum des Angeklagten in Sinne des §59 StGB vorlag, wenn sich also der Angeklagte in einem Irrtum befunden und sich einen Sachverhalt vorgestellt hat, bei dessen Vorliegen Notstand gegeben wäre, oder wenn der Angeklagte ernstlich der Auffassung war, sein Tun sei kein Unrecht. Dafür ist weder etwas vorgetragen noch festgestellt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte seine Tat schon damals für erlaubt gehalten hat. Im übrigen muss nach Auffassung des Senats hier dieselbe Einschränkung wie beim Notstand gemacht werden: Die Berufung auf Putativnotstand ist ausgeschlossen, soweit eine Rechtspflicht zur Duldung besteht.

 

IV.

 

Die Tat des Angeklagten war also nach Auffassung des Senats rechtswidrig und schuldhaft. Das Urteil der Strafkammer lässt auch sonst einen zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht erkennen. Die Lösung der im vorliegenden Falle erörterten Probleme kann gerechterweise nur noch durch die Gnadeninstanz erfolgen. Die Entscheidung über eine Niederschlagung oder Begnadigung ist nur Sache der politischen Staatsführung, nicht des Gerichts. Nachdem die dafür zuständige Militärregierung eine Niederschlagung abgelehnt hat, kann eine andere Lösung nur durch einen Gnadenerweis ermöglicht werden. In Hamburg ist zwar durch eine Verordnung vom 2. Oktober 1945 für Fälle dieser Art eine Amnestie vorgesehen, sie ist aber auf den vorstehenden Fall nicht anwendbar, weil die Tat des Angeklagten in Lübeck begangen ist.

 

Die Revisionen waren daher mit der Kostenfolge aus §473 StPO zu verwerfen.