Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.012b OLG Kiel 26.03.1947 JuNSV Bd.I S.196

 

Lfd.Nr.012b    OLG Kiel    26.03.1947    JuNSV Bd.I S.201

 

sie als verfehlt und verbrecherisch erkannt ist. Die Gesetzgebung im nationalsozialistischen Deutschland wurde als Gestaltungsform der allumfassenden Volksführung bezeichnet, wobei alle gesetzgebende Gewalt auf einen Entscheid des Führers zurückging, der allein als Träger der gesetzgebenden Gewalt anerkannt war. Erlasse Hitlers waren also auch ohne Zustimmung des Reichstages und der Reichsregierung Gesetzt, wenn nur darin ein allgemein verbindlicher Wille zum Ausdruck kam. Daraus folgt, dass auch die Entscheidung über Krieg und Frieden nach der damaligen staatsrechtlichen Lage Deutschland eine Führerentscheidung war, die der früheren Form der Gesetzgebung nicht mehr bedurfte. Die Kriegserklärung durch Hitler allein ist also nach der damaligen verfassungsrechtlichen Lage Deutschlands nicht zu beanstanden, und auch die Verfassungsverletzungen bei Durchsetzung der Regierung Hitlers sind für die staatsrechtliche Verbindlichkeit seiner zur Durchführung des Krieges getroffenen Massnahmen ohne Bedeutung. Auch daraus kann nichts für die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung des Polizeibeamten hergeleitet werden.

 

Allerdings kann dieser Grundsatz keine ausnahmslose Geltung beanspruchen, denn keine Staatsgewalt ist schrankenlos. Sie findet ihre Grenze im Zweck des Staates, in der Idee des Rechts und der Menschlichkeit. Über die Auswirkung dieser Gedanken folgendes:

 

3. Die verbrecherische Betätigung des Hitlerstaates ist für den vorliegenden Fall unerheblich:

 

Die Revision hat vorgetragen, und es ist auch sonst die Auffassung vertreten worden, die Regierung Hitlers sei eine verbrecherische Regierung gewesen, und Widerstand gegen einen verbrecherischen Staat sei immer rechtmässig. Fahnenflucht aus Hitlers Armee sei kein Verbrechen, weil im Gegenteil der Hitlerstaat Verkörperung des Unrechts gewesen sei (vgl. dazu SJZ 1946 S.105 ff.).

 

Die Tatsache, dass eine Staatsgewalt Verbrechen begeht, bewirkt nicht, dass alle ihre Massnahmen und Gesetze rechtsunwirksam und nichtig werden. Die obrigkeitlichen Akte einer Staatsgewalt unterliegen den Regeln des Verwaltungsrechts. Verwaltungsakte haben die Vermutung der Rechtmässigkeit und Gültigkeit für sich, sind auch sonst unabhängig von Mängeln des Zustandekommens und im Zweifel nur anfechtbar, aber nicht nichtig (Jellinek, "Verwaltungsrecht, 2.Aufl. S.238). Die staatsrechtliche Praxis des In- und Auslandes geht deshalb mit Recht davon aus, dass im allgemeinen die von 1933 bis 1945 in Deutschland erlassenen Gesetze und vorgenommenen obrigkeitlichen Akte rechtsgültig und verbindlich sind. Sie werden fortlaufend noch heute berücksichtigt oder angewandt und nur im Bedarfsfalle durch die Kontrollkommission oder deutsche Gesetzgeber ausdrücklich aufgehoben. Die Aufhebung von Gesetzen hat regelmässig keine rückwirkende Kraft. Gerichtsurteile, die in einem ordnungsmässigen Verfahren zwischen 1933 und 1945 von ordnungsmässigen deutschen Gerichten erlassen sind, sind auch heute noch bis zu ihrer Beseitigung rechtsverbindlich. Sie können nicht deshalb rückwirkend für unwirksam oder nichtig bezeichnet werden, weil die zu Grunde liegenden Gesetze nicht mehr als wirksam anerkannt werden. Das galt in gleicher Weise nach der Revolution von 1918, nach der Machtergreifung durch die NSDAP 1933, und das muss auch heute gelten, wenn nicht das ganze Staatsgefüge zusammenbrechen soll. Die Ausübung einer Staatsgewalt ist eben eine Tatsache mit Rechtskraftwirkung, und die Folgen einer gestürzten und gemissbilligten Staatsgewalt können nur durch ausdrückliche gesetzliche Vorschriften mit rückwirkender Kraft beseitigt werden. Daher werden auch in den deutschen Ländern jeweils besondere Wiedergutmachungsgesetze erlassen, die diese Frage regeln.

 

Dass Verbrechen selbst kann allerdings durch diesen Grundsatz nicht gedeckt werden. Eine Ausnahme von der Gültigkeit obrigkeitlicher Akte gilt für grobe Verstösse gegen die Idee der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, die den Rahmen einer Staatsgewalt überhaupt überschreiten (Coing SJZ 1947 S.61; Radbruch SJZ 1946 S.105 ff.). Der etwaige Führerbefehl über die Vernichtung arbeitsunfähiger Menschen oder völkischer Gegner in den Konzentrationslagern kann wegen Verstosses gegen die Menschlichkeit