Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.012b OLG Kiel 26.03.1947 JuNSV Bd.I S.196

 

Lfd.Nr.012b    OLG Kiel    26.03.1947    JuNSV Bd.I S.196

 

Ss 27/47

 

Im Namen des Rechts

 

 

Strafsache gegen

 

den Nautiker und Journalisten G. aus Hamburg, geboren am 20. Dezember 1919 in Danzig,

 

wegen versuchten Totschlages.

 

Auf die Revisionen des Angeklagten vom 24.Dezember 1946 und der Staatsanwaltschaft vom 30.Dezember 1946 gegen das Urteil der Strafkammer I des Landgerichts in Lübeck vom 23.Dezember 1946 hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts Kiel in der Sitzung vom 26.März 1947 für Recht erkannt:

 

Die Revisionen werden kostenfällig verworfen.

 

 

GRÜNDE

 

Der 27jährige Journalist G. ist durch Urteil der Strafkammer wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung unter Zubilligung mildernder Umstände zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafkammer hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

 

Der Angeklagte war als Soldat wegen Fahnenflucht rechtskräftig zum Tode verurteilt. Er entfloh vor der Vollstreckung. Im Februar 1944 wurde er in Lübeck durch die Polizei festgenommen und schlug den vernehmenden Beamten nieder, um erneut zu fliehen. Der Beamte wurde schwer verletzt. Der Angeklagte flüchtete nach der Schweiz und kehrte im Mai 1946 nach Hamburg zurück. Die Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsversuch gehandelt, und festgestellt, dass der Angeklagte ein Gegner des Nationalsozialismus war und aus dieser politischen Einstellung heraus die Tat zu erklären sei.

 

Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft frist- und formgerecht Revisionen eingelegt, mit denen Verletzung sachlichen und Verfahrensrechts gerügt wird. Das Revisionsgericht ist nach §377 StPO an die tatsächlichen Feststellungen der Strafkammer gebunden und hat nur die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts nachzuprüfen.

 

A. Verfahrensrügen

 

1. Die Staatsanwaltschaft meint, die Strafkammer hätte sich für die Feststellung des politischen Motives nicht mit den widerspruchsvollen Angaben des Angeklagten begnügen dürfen und weitere Ermittlungen anstellen müssen. Es hätte sich dann ergeben, dass die Tat nicht aus politischer Gegnerschaft begangen sein könne.

 

Gerügt wird damit die Verletzung der Aufklärungspflicht nach §245 Abs.1 StPO, wobei der irrtümliche Hinweis auf die unrichtige Paragraphenbezeichnung des früheren §244 StPO unerheblich ist. Die Rüge ist unbegründet. Es mag sein, dass die Ermittlungen über den Lebensgang und den politischen Beweggrund unvollständig waren. Beweisanträge sind aber in der Hauptverhandlung nicht gestellt, und es unterlag dem