Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.012a LG Lübeck 23.12.1946 JuNSV Bd.I S.189

 

Lfd.Nr.012a    LG Lübeck    23.12.1946    JuNSV Bd.I S.191

 

zum Tode verurteilt. Es gelang ihm jedoch noch am gleichen Tage zusammen mit einem anderen Verurteilten namens Kirschberger, aus der Wehrmachtshaftanstalt in Stralsund zu entfliehen. Er begab sich zunächst zu seinen Schwiegereltern in die Lüneburger Heide und verschaffte sich hier Zivilsachen. Kurz darauf fuhr er nach Lübeck und nahm hier zunächst im Seemannsheim an der Untertrave und dann in der Königstrasse 9 unter dem Namen "E." (Umkehrung seines richtigen Namens) Quartier. Zuvor hatte er sich falsche Papiere verschafft, die auf den Namen "E." lauteten. Er hatte die Absicht, nach Schweden zu entfliehen, und versuchte zu diesem Zwecke, in Hafenwirtschaften mit ausländischen Seeleuten Verbindung aufzunehmen.

Insoweit beruht die Darstellung auf der Schilderung, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung gegeben hat. Sie war nicht zu widerlegen. Inzwischen hatte sich der zusammen mit dem Angeklagten entflohene Kirschberger in Danzig freiwillig der Polizei gestellt. Bei seiner Vernehmung gab Kirschberger an, dass der Angeklagte sich seines Wissens im Seemannsheim in Lübeck aufhalte. Die Kriminalpolizei versuchte daraufhin, den Angeklagten in Seemannsheim zu ermitteln. Ihre Nachforschungen blieben jedoch ohne Erfolg. Am 9.2.1944 wurde der Kriminalpolizei bekannt, dass der Angeklagte sich in der neben dem Seemannsheim liegenden Gastwirtschaft von Hanna Oertel aufhielt. Der Zeuge Kriminalpolizeiobermeister L. begab sich daraufhin zusammen mit 3 Beamten der uniformierten Polizei gegen 20 Uhr zur Gastwirtschaft Oertel, stellte den Angeklagten und nahm ihn fest. Da dieser erklärte, dass er nicht "G." sondern "E." heisse, nahm der Zeuge L. den Angeklagten zwecks Feststellung seiner Personalien mit auf das I. Polizeirevier. Da die Papiere hier jedoch nicht überprüft werden konnten, brachte der Zeuge L. zusammen mit dem Zeugen Gr., der damals Schutzpolizeibeamter der Reserve war, den Angeklagten auf das Polizeipräsidium. Da es inzwischen 21 Uhr geworden war, und der Dienst des Zeugen L. um diese Zeit endete, übergab er den Angeklagten, nachdem er sich zuvor noch einmal dessen Papiere angesehen hatte, dem ihn für die Nacht ablösenden Beamten, dem Zeugen P., jetzt Kriminalsekretär im Ruhestand, mit der Anweisung, ihn bis zum nächsten Morgen zu inhaftieren. Bei der Einlieferung des Angeklagten befand sich in dem betreffenden Zimmer des Polizeipräsidiums noch der Zeuge Kriminalpolizeiobermeister W., dessen Dienst ebenfalls um 21 Uhr endete. Ohne sich weiter mit dem Angeklagten zu beschäftigen, ist er gleich danach nach Hause gegangen. Auch der Zeuge L. verliess unmittelbar darauf den Raum und ging nach Hause. Da sich der Angeklagte bisher völlig ruhig benommen hatte, glaubte der Zeuge P. keiner Hilfe mehr zu bedürfen und schickte deshalb nach einer Weile auch den Zeugen Gr. auf sein Revier zurück. Der Zeuge P. schickte sich sodann an, die Papiere des Angeklagten nochmals zu überprüfen. Nach eingehender Überprüfung der Papiere eröffnete er dem Angeklagten, der ihn dringend um seine Entlassung bat, dass er ihn über Nacht inhaftieren und am nächsten Morgen dem Erkennungsdienst zwecks Feststellung, ob er der gesuchte G. sei, übergeben müsse. Der Angeklagte, der wie er angibt, durch einen Anwalt schon im Januar erfahren hatte, dass das Todesurteil gegen ihn rechtskräftig geworden sei, und der auf dem I. Polizeirevier den gegen ihn erlassenen Fahndungsbefehl, nach dem die Vollstreckung des Todesurteils gegen ihn angeordnet worden war, gesehen haben will, war sich in diesem Augenblick klar darüber, dass es nunmehr um Sein oder Nichtsein ging, und beschloss, den ihn am Tische gegenübersitzenden P. auf irgendeine Weise an der Ausübung seines Dienstes zu hindern, um entfliehen zu können. Als der Zeuge P. sich einen Augenblick umdrehte, um etwas aus einer auf dem Ruhebett hinter ihm liegenden Aktentasche zu nehmen, ergriff der Angeklagte einen im Dienstzimmer befindlichen eisernen Feuerhaken von etwa Spazierstocklänge mit einem in eine Spitze auslaufenden Haken und schlug damit auf den Kopf des Zeugen P. ein- oder zweimal heftig ein. P. wurde an der linken Schläfe und im Nacken getroffen und brach sofort bewusstlos zusammen. Der Angeklagte ergriff daraufhin seine Papiere und entkam unbemerkt von dem ausser P. allein im Gebäude anwesenden Schliesser. P. wurde, als man ihn einige Zeit danach bewusstlos auffand, in das Marienkrankenhaus eingeliefert, und dort in der Nacht von dem Sachverständigen Facharzt für Chirurgie Dr.med. F. operiert, der eine sehr schwere Schädelverletzung und eine ebenso schwere Halsverwundung feststellte. Nach einem Krankenhausaufenthalt von 6 Wochen wurde der Zeuge P. in die Privatklinik des Sachverständigen