Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.527b BGH 24.07.1962 JuNSV Bd.XVIII S.169

 

Lfd.Nr.527b    BGH    24.07.1962    JuNSV Bd.XVIII S.170

 

Die Annahme der Revision, dass das Schwurgericht sich erst nach der Vereidigung der Zeugen Kleinhenn und Bi. seiner Pflicht bewusst geworden sei, die Zulässigkeit der Vereidigung dieser zwei Zeugen nach §60 Nr.3 StPO zu prüfen, und dass es nun die Unzulässigkeit dieser Vereidigung erkannt habe, bleibt trotz des Hinweises auf die nachfolgende Nichtvereidigung der Zeugen Prof.Dr. Ri. und Dr. W. eine blosse Unterstellung. Bei dem Lagerzahnarzt Dr. W., der vor der Tötung die Zähne der Gefangenen untersuchte, lag wegen der Art dieses unmittelbar der Täuschung der Opfer dienenden Tatbeitrags ein Teilnahmeverdacht wesentlich näher als etwa bei den nur zum Ausheben des Massengrabes eingeteilten Mannschaften. Prof.Dr. Ri. war zwar ebenso wie eine Reihe der vereidigten Zeugen nur bei den Absperrmassnahmen im Walde eingesetzt. Indessen war es bei seinem Dienstgrad und seiner Dienststellung wahrscheinlicher, dass man ihn in die Zusammenhänge eingeweiht hatte. Waren sie ihm gleichfalls verborgen worden, so war ihm ihr Erkennen auf jeden Fall eher zuzutrauen als anderen Personen ohne entwickelten kritischen Sinn. Die Bundesanwaltschaft sieht deshalb gerade in der Nichtvereidigung der Zeugen Dr. Ri. und Dr. W. mit Recht einen Beweis dafür, dass das Schwurgericht aus tatsächlichen, der Nachprüfung in der Revision unzugänglichen Gründen hier zur Nichtvereidigung und bei den anderen Zeugen zur Vereidigung gelangte.

 

Dagegen vermag auch der Hinweis auf das Verfahren nichts, welches gegen Angehörige des Lagerpersonals von Hinzert vor französischen Militärgerichten stattfand. Keiner der vereidigten Zeugen ist dort wegen der Mitwirkung bei der Tötung der russischen Gefangenen verurteilt worden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Berufungsurteil des Rastatter Tribunal Supérieur vom 26.Januar 1949, S.12: "Attendu que les recherches entreprises pour retrouver les auteurs des assassinats des 70 Russes sont demeurées infructueuses." Ein in jenem Verfahren geäusserter oder aktenkundig gemachter Verdacht zwang das Schwurgericht nicht zu gleicher Beurteilung (§261 StPO; RGSt. 16, 209). Ob das Schwurgericht die beigezogenen Akten des Obersten Gerichts der französischen Militärregierung bei seiner Entscheidung überhaupt oder hinreichend berücksichtigt hat, entzieht sich der Nachprüfung des Revisionsgerichts und insbesondere auch der von der Staatsanwaltschaft insoweit erhobenen "Aufklärungsrüge"; denn die Feststellung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen der §§60 ff. StPO gegeben sind, erfolgt im Wege des Freibeweises, für den die förmlichen Grundsätze des §244 StPO nicht gelten (s. RGSt. 56, 102).

 

Im Zusammenhang mit der Rüge einer Verletzung des §60 Nr.3 StPO hat die Staatsanwaltschaft schliesslich beanstandet, ihr Sitzungsvertreter sei von der Vereidigung der Zeugen überrascht worden und deshalb nicht in der Lage gewesen, Einwände zu erheben. Demgegenüber weist die Bundesanwaltschaft mit Recht darauf hin, dass dem §33 StPO genügt war, wenn die Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Äusserung hatte, und dass es einer ausdrücklichen Aufforderung zur Stellungnahme nicht bedurfte. Dem Sitzungsvertreter hätte es auch freigestanden, einen Aufschub der Vereidigung oder der Beschlussfassung über die Vereidigung zu beantragen.

Das Vorbringen der Revision zu den Urteilsfeststellungen über die Exekutionen von luxemburgischen Häftlingen begründet eine zulässige Aufklärungsrüge schon deshalb nicht, weil bestimmte Beweismittel nicht bezeichnet sind (BGHSt. 2, 168); es lässt sich auch nicht in eine andere zulässige Verfahrensrüge umdeuten.

 

II. Zur Sachrüge

 

Auch die Sachrüge ist unbegründet. Die Anwendung des §47 MilStGB durch das Schwurgericht steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (BGH Urt. vom 13.Februar 1951, 4 StR 32/50 28 = L/M §47 MilStGB Nr.1). Was die Revision dazu vorbringt, dass sich die Angeklagten nicht im "besonderen Einsatz" befunden hätten, liegt neben der Sache. Denn dieses Erfordernis bestand nach §1 Nr.6 der VO vom 17.Oktober 1939 (RGBl. I, 2107), deren Gültigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zweifelhaft ist (BGH NJW 1951, 323 Nr.22), nur für Angehörige der Polizeiverbände. Bei Angehörigen der SS-Totenkopfverbände (§1 Nr.4 der VO) kam es darauf nicht an.

 

28 Siehe Lfd.Nr.281.