Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.527a LG Trier 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.135

 

Lfd.Nr.527a    LG Trier    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.166

 

eingangs dargelegten Gründe überzeugt davon, dass dies weitgehend zutreffen kann, in jedem Falle dem Angeklagten nicht zu widerlegen ist. Wenn der Angeklagte heute selbst objektive Tatumstände nur unzulänglich anzugeben vermag, so dürfte dies um so mehr für die inneren, geistigen Vorgänge gelten.

 

Dem steht nach der Überzeugung des Schwurgerichts nicht entgegen, dass der Angeklagte in seiner ersten Vernehmung im Ermittlungsverfahren am 28.6.1961 angegeben hat, er habe sich zunächst gegen eine Mitwirkung bei der Tötung - jedoch ohne Erfolg - gewehrt. Selbst wenn der Angeklagte das getan haben sollte, spricht das nicht unbedingt dafür, dass er wusste, er müsse bei einer rechtswidrigen Vernichtung der Gefangenen mitwirken. Es ist nicht auszuschliessen, dass er sich lediglich gegen eine Mitwirkung an der Tötung als solche und nicht wegen ihres verbrecherischen Charakters gesträubt hat. Diese Annahme liegt gar nicht so fern, da sich auch der Zeuge Be., wie er glaubhaft versicherte, noch kurz vor Beginn der Aktion heimlich entfernen wollte, obgleich auch er an eine rechtmässige Hinrichtung glaubte.

Auch bei der Hinrichtung der luxemburgischen Widerstandskämpfer in den Jahren 1942 und 1944 war kein SS-Mann freiwillig bereit, am Erschiessungskommando teilzunehmen, obwohl man alle in den Glauben versetzt hatte, es handele sich in beiden Fällen um die Vollstreckung von Todesurteilen. Zudem erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte diese angebliche Abwehraktion bloss vorgegeben hat, um darzulegen, dass er nur infolge Zwang mitgewirkt habe. Es ist auch nicht zu übersehen, dass ihm bei der Ladung zu diesem Termin nicht mitgeteilt wurde, dass er als Beschuldigter vernommen werde, sondern ihm dies erst unmittelbar vor der Vernehmung eröffnet wurde. Es liegt durchaus nahe, dass der Angeklagte, als er sich plötzlich dem schweren Vorwurf ausgesetzt sah, bei der Ermordung von 70 Russen massgeblich geholfen zu haben, sein erstes Bestreben darauf setzte, diesen Vorwurf zu entkräften. Muss man aber - wie eingangs dargelegt - davon ausgehen, dass die Erinnerung des Angeklagten lückenhaft ist, dass ihm deshalb bei der damaligen Vernehmung nach der Überzeugung des Schwurgerichts ohne Zweifel nach 20 Jahren nicht mehr alle Vorgänge bewusst waren, so blieb bei seiner Mentalität kein anderer Weg, als jede in seiner Sicht "unmittelbare" und "freiwillige" Mitwirkung in Abrede zu stellen und dafür andere Umstände anzugeben. Zwar hat der Angeklagte seine damalige Darstellung anschliessend vor dem Richter bestätigt. Daraus allein kann jedoch nichts anderes entnommen werden, da der Angeklagte unmittelbar nach seiner Vernehmung durch den Staatsanwalt dem Richter vorgeführt wurde, so dass ihm keine Zeit verblieb, seine Angaben nochmals zu überdenken oder seine Erinnerungslücken auszufüllen.

 

Das Schwurgericht sieht ebenso wenig in den Angaben des Angeklagten in seiner Vernehmung vom 11.Juli 1961 einen Anlass für eine andere Beurteilung. Diese Aussage weicht in so vielen Punkten von den Feststellungen in der Hauptverhandlung ab, dass das Schwurgericht kaum eine Gewähr für ihre Richtigkeit in ihrer Gesamtheit zu erkennen vermag. So sollen der Lagerkommandant Pister und Dr. Wolter erst am Tage der Vernichtung das Zyankali in Trier besorgt haben - nach den Feststellungen in der Hauptverhandlung war es mindestens einen Tag vorher. Nach B.s Darstellung soll der "Abspritzraum" 50 qm gross gewesen sein - tatsächlich war er allenfalls 10 qm gross. B. gibt vor, im Tötungsraum seien Waage und Messlatte gewesen, um den Gefangenen etwas vorzuspiegeln - dagegen ist festgestellt, dass sich diese im Nebenraum befanden und von dem Sanitäter Hanson bedient wurden. Angeblich hat Dr. Wolter jede gebrauchte Kanüle in den Sterilisator gelegt - das ist gänzlich unwahrscheinlich, da bei dieser Vernichtungsaktion eine Sterilisierung überflüssig war und niemand etwas vorgespiegelt werden konnte, da in diesem Augenblick der nächste Gefangene den Raum noch nicht betreten hatte. Nach B. sollen sich benutzte Kanülen im Sterilisator angehäuft haben - auch dies erscheint wenig wahrscheinlich, da an sich alle Gefangenen mit einer Kanüle hätten getötet werden können. B. will die Gefangenen gewogen und an der Messlatte gemessen haben - nach den getroffenen Feststellungen hat das jedoch im Nebenraum der Sanitäter Hanson getan. Der Angeklagte erweckt den Eindruck, als seien er und F. und sogar Hanson dauernd und unaufhörlich mit dem Auswechseln von Kanülen beschäftigt gewesen - die Richtigkeit dieser Angaben hat sich in der Hauptverhandlung auch nicht annähernd bestätigt. Nach B. soll Dr. Wolter die Gefangenen vor