Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.527a LG Trier 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.135

 

Lfd.Nr.527a    LG Trier    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.157

 

nach Lage der Dinge, erheblich voneinander abwichen. Während der Angeklagte F. die Zahl der Getöteten auf 35-45 schätzt, glaubt der Angeklagte B. überhaupt keine zuverlässigen Angaben mehr machen zu können. Auch der Zeuge Be. meint, er könne eine annähernd zutreffende Zahl nicht angeben. Der Zeuge Dr. Ri. hat auf Grund der Angaben des Lagerkommandanten Pister von etwa 40 Gefangenen gesprochen. Dr. W., der die Gefangenen untersuchte, glaubt, dass es etwa 50 gewesen seien. SS-Unterscharführer Schaaf hat in seiner im Jahre 1950 vor seinem Selbstmord hinterlassenen Notiz die Gesamtzahl mit 30-40 angegeben. Nach Angaben des Zeugen Rau. wäre von einer Gesamtzahl von 50-60 auszugehen, während die Zeugen Fr. und Kl., die an dem Geschehen nicht unmittelbar beteiligt waren, meinen, es sei von 60-70 Gefangenen die Rede gewesen.

Es ist nicht auszuschliessen, dass die im Ermittlungsverfahren ständig genannte Zahl von 70 Gefangenen auf der Annahme des Obersten französischen Militärgerichts in Rastatt in dem 1948 gegen verschiedene SS-Leute durchgeführten Strafverfahren beruht, wonach es sich bei dem mit 70 Leichen belegten im Jahre 1946 entdeckten Massengrab in Hinzert um die alleinige Grabstätte der ermordeten Kommissare handeln müsste. Andererseits steht jedoch fest, dass über die Zahl der Häftlinge hinaus, deren Identität später noch festgestellt werden konnte, eine gewisse Zahl umgekommen ist, deren Gräber nicht mehr zu ermitteln waren. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese später in dem bereits 1941 geschaffenen Massengrab beigesetzt wurden. Das Schwurgericht hält diese Möglichkeit einmal deshalb nicht für ausgeschlossen, weil das besagte Massengrab erst entdeckt wurde, als die obersten Leichen durch Tiere freigescharrt worden waren. Es liesse sich aber kaum mit den für die Vernichtung der politischen Kommissare gegebenen Anweisungen über die Geheimhaltung und anzuwendende Vorsicht vereinbaren, wenn das 1941 geschaffene Massengrab so unzulänglich vorbereitet worden wäre, dass es ohne weiteres durch Wild oder anderes Getier hätte freigelegt werden können. Zum anderen ist zu beachten, dass der SS-Unterscharführer Schaaf unmittelbar vor seinem Selbstmord und in der offenbaren Absicht, seinen damaligen Mitangeklagten B. schwer zu belasten, nur die Zahl von 30-40 Gefangenen genannt hat.

Bei dieser Sachlage ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Angeklagte F. auch im Hinblick auf die ihm nicht näher umschriebene "Anzahl" der Hinzurichtenden nicht auf eine rechtswidrige Vernichtung geschlossen hat.

 

Dem Angeklagten war auch nicht zu widerlegen, dass er von der zum Schein erfolgten Untersuchung der Gefangenen im Entwesungsraum keine Kenntnis hatte. In der Hauptverhandlung haben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er von diesen Vorgängen hätte wissen müssen. Auch alle an der Aktion irgendwie beteiligten Zeugen haben entschieden in Abrede gestellt, hiervon etwas gewusst zu haben. Da die Verbindungstür zum Entwesungsraum dicht mit Decken verhangen war, kann aus den räumlichen Gegebenheiten nicht mit Sicherheit darauf geschlossen werden, der Angeklagte habe erkannt, was im Nebenraum vor sich ging.

Andererseits ist nicht zu verkennen, dass es naheliegt, dass dem Angeklagten bei Durchführung der Aktion im Hinblick auf den Ablauf des Geschehens oder die Zahl der Getöteten zu irgendeinem Zeitpunkt die Erkenntnis hätte kommen müssen, es handele sich um etwas Unrechtmässiges. Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass einige Umstände auf einen solchen Schluss hindeuten. So hätte insbesondere die Gelassenheit, mit der die Gefangenen die tödliche Spritze hinnahmen, bei dem Angeklagten Zweifel an seiner bisherigen Auffassung über die Rechtmässigkeit des Geschehens auslösen müssen. Das stellt er indes in Abrede und meint, er habe lediglich die Art der Hinrichtung als grauenvoll empfunden und sei von diesem Grauen derart überwältigt worden, dass er keinen klaren Gedanken mehr habe fassen können.

 

Das Schwurgericht hat die Überzeugung gewonnen, dass auch diese Einlassung - auch wenn auf den ersten Anschein manches gegen sie sprechen mag - nicht von vornherein als gänzlich unglaubwürdig abgetan werden kann. Das Schwurgericht ist in dieser Auffassung einmal durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Se. bestärkt worden.

Der Sachverständige Dr. Se. sollte nicht Gehilfe des Gerichts für die rechtliche Beurteilung