Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.527a LG Trier 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.135

 

Lfd.Nr.527a    LG Trier    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.155

 

Dem gegenüber lässt sich nicht anführen, der Angeklagte habe bereits aus anderen Umständen entnehmen müssen, dass keine ordnungsgemässe Verurteilung vorliegen könne. Es ist nicht zu übersehen, dass das SS-Sonderlager Hinzert zunächst nach seiner Zweckbestimmung und seinem tatsächlichen Charakter ein "Erziehungslager" war. Damals hatte es mit den berüchtigten Konzentrationslagern kaum etwas gemein. Es war erst 1½ Jahre vor der Tat in den Verband der Konzentrationslager eingegliedert worden und konnte diesen im Oktober 1941 keineswegs gleichgesetzt werden. Die dort schon seit Jahren üblichen Grausamkeiten, Ermordungen auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes, des Lagerkommandanten oder aus eigener Initiative der SS-Leute hatten sich bis dahin in Hinzert nicht ereignet. Es fehlte der in vielen anderen Lagern vorhandene Stamm erfahrener und abgestumpfter "KZ-Wächter", die aus nichtigen Gründen selbst zum Mord entschlossen waren oder ihn auf Befehl blindlings ausführten. Erfahrungen oder frühere Vorkommnisse mussten also kein Grund für den Angeklagten sein, an den ihm gegenüber gemachten Angaben zu zweifeln.

Es ist auch nicht zu übersehen, dass damals in Hinzert keinerlei Stammmannschaften der SS-Totenkopfverbände, sondern erst nach Kriegsbeginn einberufene Verstärkungen der Polizei eingesetzt waren. Zwar waren sie bereits 1940 in die SS-Totenkopfstandarten überführt worden. Das vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass sie sich in ihrem Werdegang, ihrer Zusammensetzung und - nach Überzeugung des Schwurgerichts - in ihrer Einstellung nicht unwesentlich von den in den Konzentrationslagern seit längerem eingesetzten SS-Führern und Mannschaften unterschieden.

Das Schwurgericht ist deshalb davon überzeugt, dass die SS-Lagerführung bei Planung und Durchführung der Tötungsabsichten in Hinzert auch im Hinblick auf das SS-Personal besondere Vorsicht und Zurückhaltung hat walten lassen. Dann aber erscheint es geradezu naheliegend, dass bei etwaigen Fragen nach einer Verurteilung der Gefangenen diese ohne weiteres bejaht wurde.

 

Auf Grund der getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht auch die Überzeugung gewonnen, dass die besondere Geheimhaltung durch diese Gründe mitbestimmt wurde. So fällt auf, dass dem Zeugen Rau., der die Gefangenen vom Lager Baumholder abholte, weder gesagt wurde, dass es sich um russische politische Kommissare handele, noch, dass sie zur Hinrichtung überführt würden. Den an der Absperrung beteiligten SS-Wachmannschaften wurde gleichfalls weder der Umfang, noch die Personen der zur Exekution Bestimmten bekanntgegeben. Sie erfuhren lediglich, dass eine Hinrichtung stattfinde. Der Zeuge Be., der mit 19 weiteren SS-Leuten beim Abtransport der Leichen eingesetzt war, erfuhr erst kurz vor der Aktion, dass die Tötung einer ganzen Zahl russischer Kommissare bevorstehe, obwohl die SS-Männer bereits Stunden vorher ausgewählt worden waren. Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugen Bi., Kl. und Kleinhenn erfuhren die nichtbeteiligten SS-Unterführer und Mannschaften zunächst sogar überhaupt nichts über die Art und den Umfang der damaligen Vorgänge. All das könnte zwar die Vermutung nahelegen, diese besondere Geheimhaltung habe bei den Beteiligten Zweifel an der Rechtmässigkeit der Exekution aufkommen lassen müssen. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend, da jede Gruppe der eingesetzten SS-Leute in verschiedenem Umfang informiert war und keine von dem Wissen der anderen Kenntnis hatte. War aber jeder so weit informiert, wie es für seine Tätigkeit erforderlich war, so musste er nicht notwendig aus seinem Nichtwissen über die weiteren Umstände von vornherein darauf schliessen, es geschehe etwas Unrechtmässiges.

 

Es erscheint nach alledem möglich und ist dem Angeklagten F. nicht zu widerlegen, dass er zunächst von einer Erschiessung auf Grund einer ordnungsgemässen Verurteilung ausgegangen ist. Das Schwurgericht sieht sich in dieser Überzeugung auch durch die Vorgänge bei der Hinrichtung der luxemburgischen Widerstandskämpfer in den Jahren 1942 und 1944 bestätigt. In beiden Fällen beliess die Lagerleitung das Exekutionskommando der SS in dem Glauben, es liege eine Verurteilung vor, während tatsächlich nur die im Jahre 1942 erfolgte Exekution auf dem Urteil eines Standgerichts beruhte.

 

Bei dieser Sachlage bestand für den Angeklagten F. kein zwingender Anlass, bei der einige Tage später erfolgten Auflösung des Zyankalipulvers anzunehmen, dieses Gift