Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.527a LG Trier 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.135

 

Lfd.Nr.527a    LG Trier    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.154

 

In dieser Auffassung ist das Schwurgericht durch die auffallende Übereinstimmung der Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung bestärkt worden. Sie weichen in allen wesentlichen Punkten nicht voneinander ab. Zwar zeigen sich einige Verschiedenheiten in der Zeitangabe oder der Aufeinanderfolge der Geschehnisse. Das kann aber bei einem Zeitabstand von mehr als 20 Jahren letztlich nicht entscheidend sein. Mag all das auch nicht ohne weiteres für die Richtigkeit der Darstellung des Angeklagten sprechen, so ergeben sich andererseits daraus auch keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Einlassung unwahr sein müsse. Zwar lässt sich nicht ausschliessen, dass der Angeklagte bei seiner zweiten Vernehmung im Ermittlungsverfahren am 30.Juni 1961 darauf eingestellt war, als Beschuldigter vernommen zu werden. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass er zu dieser Vernehmung als Zeuge geladen war und ihm der Schuldvorwurf erst unmittelbar vor seiner Vernehmung eröffnet wurde. Zwar bliebe die Möglichkeit, dass er sich eine etwaige Aussage zu dem Tatgeschehen seit längerem zurechtgelegt hatte. In dieser Richtung vermochte das Gericht jedoch keinerlei Feststellungen zu treffen.

 

Das Schwurgericht gründet seine Überzeugung weiterhin darauf, dass dem Angeklagten seine Gesamtdarstellung in ihren wesentlichen Punkten nicht zu widerlegen war. Seine Angaben zum äusseren Tatgeschehen widersprechen, abgesehen von einigen unwesentlichen Umständen, nicht dem festgestellten Sachverhalt. Seine Einlassung zur subjektiven Seite findet in einer Reihe von Indizien eher eine Bestätigung, als dass durch diese Zweifel an deren Richtigkeit begründet würden.

Dem Angeklagten ist nicht zu widerlegen, dass er zunächst davon ausgegangen ist, die Gefangenen wären verurteilt und würden deshalb erschossen. Es liegt durchaus nahe, dass diese Art der Hinrichtung anfangs vorgesehen war. Dafür spricht nicht nur, dass die Hinrichtungen in deutschen Konzentrationslagern vielfach durch Erschiessen stattfanden, sondern auch, dass man in dem gleichgelagerten Fall im Konzentrationslager Sachsenhausen ca. 10000 Gefangene auf diese Weise umgebracht hat. Es liegt deshalb auch nahe, dass - ähnlich wie in Sachsenhausen - eine Erschiessung mit Kleinkalibergewehren in Aussicht genommen war. Wenn aber selbst im Lager Sachsenhausen Anlass bestand, durch die Hinrichtung kein Aufsehen zu erregen, so bestand dieser um so mehr in Hinzert, wo die Vernichtung der Gefangenen durch Erschiessen ausserhalb des Lagers stattfinden musste und die Gefahr bestand, dass man die Schüsse in dem nahegelegenen Ort Hinzert hörte. Es scheint auch nicht ausgeschlossen, dass am Vormittag des fraglichen Tages der Höhere SS- und Polizeiführer Roesener und der Lagerkommandant Pister aus diesem Grunde den im nahen Walde gelegenen und angeblich als Erschiessungsort vorgesehenen Steinbruch besichtigt haben und dann erst endgültig den Entschluss fassten, die Gefangenen mittels Spritzen umzubringen. Wenn nach der Darstellung des Angeklagten im Zusammenhang hiermit geäussert wurde, die Gefangenen seien wegen Spionage zum Tode verurteilt, so erscheint auch das nicht gänzlich unglaubwürdig.

Der Sachverständige Dr. Se. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die deutsche Führung im Falle der Beseitigung der russischen politischen Kommissare anders verfahren ist als bei der Vernichtung der Juden. Während sie diese allein wegen ihrer Rasse als lebensunwerte Untermenschen qualifizierte, versuchte man, den politischen Kommissaren eine persönliche Schuld anzulasten. Das geht sowohl aus der Begründung des Kommissarbefehls als auch aus den dazu später erlassenen "Richtlinien" hervor. Mit einer persönlichen Schuld sind die politischen Kommissare auch bei den Beteiligten im SS-Sonderlager Hinzert belastet worden. Das haben die Zeugen Dr. W., Be., Kl., Dr. Ri., Wi. und Kleinhenn 25 glaubhaft und übereinstimmend bestätigt. Der Schuldvorwurf war zwar nicht in allen Fällen gleich. Während einigen Zeugen gegenüber die gleichen Argumente angeführt wurden, die auch den beiden Angeklagten zu Ohren kamen, hörten andere davon, die Kommissare seien an der Ermordung deutscher Soldaten beteiligt gewesen oder hätten russische Kriegsgefangene zum Aufruhr angestiftet. Dann aber ist nicht von der Hand zu weisen, dass im Zusammenhang damit auch die Frage einer Verurteilung auftauchte. Es erscheint naheliegend, jedenfalls nicht auszuschliessen, dass den Beteiligten dann - wenn auch nur, um sie in Unkenntnis über das wahre Geschehen zu halten - gesagt wurde, die Gefangenen seien wegen der angegebenen Taten zum Tode verurteilt.

 

25 Siehe Lfd.Nr.523.