Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.527a LG Trier 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.135

 

Lfd.Nr.527a    LG Trier    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.146

 

und müssten sich deshalb einer Untersuchung unterziehen. In einem Untersuchungsraum wurde ihnen dann auch - nachdem sie sich entkleidet hatten - eine Körperuntersuchung auf ihren Kräftezustand und ihre Arbeitsfähigkeit durch SS-Angehörige vorgetäuscht. Anschliessend wurden sie einzeln in einen anderen Raum geführt, vor eine an der Wand errichtete Messlatte gestellt und dann durch eine Öffnung, die durch die Wand in den Nebenraum führte, mit einem Schuss aus einer Kleinkaliberpistole in den Nacken getötet.

 

VI.

 

An einem Abend, in der Zeit zwischen dem 2. und 19.Oktober 1941, sind auf Grund des Kommissarbefehls und der in diesem Zusammenhang ergangenen weiteren Anordnungen im SS-Sonderlager Hinzert mindestens 30-40 russische politische Kommissare durch Verabfolgung von Zyankalispritzen getötet worden.

 

Etwa 3-4 Tage vor dieser Aktion erfuhr der Angeklagte B. abends in der Lagerkantine, in den nächsten Tagen würden russische politische Kommissare von Baumholder zur Exekution nach Hinzert überführt. Sie seien in deutschen Uniformen hinter der Front abgesprungen und deshalb zum Tode verurteilt. Nach seiner Rückkehr in die Revierbaracke teilte B. dem Angeklagten F. mit, er habe soeben gehört, es kämen "Russen" aus Baumholder nach Hinzert. Sie seien als Spione oder Partisanen hinter der deutschen Front tätig gewesen und deshalb zum Tode verurteilt.

Zwei Tage später erhielt der Angeklagte F. von Dr. Wolter den Befehl, den Inhalt einer kleinen mit Pulver gefüllten Flasche in Wasser aufzulösen, die Lösung in eine grössere Flasche abzufüllen und diese mit "Blaue Linie" zu beschriften. F. liess darauf durch einen Häftlingssanitäter einen Schemel vor die Baracke schaffen und löste in dessen Gegenwart dort das Pulver in destilliertem Wasser auf. Beim Auflösen des Pulvers stellte F. einen starken Mandelgeruch der Lösung fest und schloss daraus, dass es sich um Zyankali handeln müsse. Da ihm Dr. Wolter weder gesagt hatte, dass es sich um das Gift Zyankali handele, noch wozu es gebraucht werde, fragte er den Angeklagten B., wozu der Arzt das Gift benötige. B. erklärte ihm, das wisse er nicht.

 

Am Vormittag des nächsten oder übernächsten Tages erschien der Höhere SS- und Polizeiführer in Wiesbaden, Roesener, mit einigen weiteren SS-Führern im Lager Hinzert. Zusammen mit dem Lagerkommandanten Pister inspizierten sie zunächst das Häftlingslager, dann die Umgebung des Lagers und einen im nahen Walde gelegenen Steinbruch. Etwa zu gleicher Zeit hörte der Angeklagte B., die Exekution der "Russen" finde im Walde statt. Der Lagerkommandant wünsche kein Aufsehen und keine "Knallerei" und wolle die Gefangenen deshalb mit Kleinkalibergewehren im Steinbruch erschiessen lassen. Das teilte B. später auch dem Angeklagten F. mit.

Gegen Mittag liess der Lagerkommandant Pister im SS-Lager die Wachkompanie antreten und erklärte, er brauche 20 Freiwillige für das Häftlingslager. Wozu die Leute benötigt wurden, gab er nicht an. Da ein Einsatz im Häftlingslager meistens zusätzliche Arbeit für die Männer der Wachkompanie bedeutete, meldete sich niemand. Darauf bestimmte Pister 20 SS-Leute und erklärte ihnen, sie müssten sich am Nachmittag bereit halten. Bei welcher Tätigkeit sie eingesetzt werden sollten, gab er auch jetzt nicht bekannt. Sodann ordnete er eine allgemeine Ausgangssperre für den Nachmittag an. Die beiden Angeklagten nahmen als Sanitäter an diesem Appell nicht teil.

Nach dem Mittagessen rückte ein Teil der Wachkompanie mit Schaufeln in den nahegelegenen Wald und hob dort ein Massengrab aus. Hier sollten die zur "Exekution" bestimmten russischen Kommissare später begraben werden.

Am Nachmittag erschienen der Höhere SS- und Polizeiführer Roesener, der Lagerkommandant Pister, der Lagerarzt Dr. Wolter und einige weitere SS-Führer nochmals im Häftlingslager und begaben sich in die Revierbaracke. Roesener, Pister und Dr. Wolter betraten die Revierstube, wo sich der Angeklagte B. befand. Sie schickten diesen mit dem Bemerken hinaus, es finde eine Besprechung statt. Dr. Wolter führte dann im Beisein von Roesener und Pister ein Telefongespräch mit dem leitenden Arzt beim SS-Sanitätsamt in Berlin, Dr. Lolling. Was gesprochen wurde, konnte B., der sich jetzt draussen vor der Revierstube aufhielt, nicht verstehen.