Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.13

 

Im Februar 1945 wurde der Angeklagte Ric. seines Postens enthoben und als Schütze zur Waffen-SS eingezogen. Bis dahin hatte er keinen Wehrdienst geleistet. Er kam zu einem Bataillon der Waffen-SS in Drögen bei Fürstenberg in Mecklenburg und wurde als Melder eingesetzt.

 

Am 4.Mai 1945 geriet der Angeklagte Ric. in amerikanische, später in englische Gefangenschaft. Da er niemals eine körperliche Kennzeichnung als SS-Angehöriger erhalten hatte (Tätowierung der Blutgruppe am Oberarm) entging er seiner Verhaftung als SS-Führer. Ausserdem gab er falsche, im Jahre 1947 berichtigte Personalien an. Ric. wurde am 29.Juli 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Schleswig-Holstein entlassen und ging nach Pansdorf, wohin seine Eltern aus Guben geflüchtet waren. Von November 1945 bis zur Währungsreform arbeitete er als ungelernter Arbeiter in der Firma eines Kriegskameraden, die Spielwaren herstellte. Nach der Währungsreform war er längere Zeit arbeitslos. Durch Spruchentscheid des Entnazifizierungshauptausschusses in Kiel vom 13.März 1951 wurde er in die Gruppe der Entlasteten (Gruppe V) eingestuft.

 

Seit dem 13.Januar 1955 war Ric. als Angestellter in der Versorgungsverwaltung des Landes Schleswig-Holstein beschäftigt, und zwar zunächst beim Versorgungsamt Kiel - Arbeitsgruppe für Kriegsgefangenenentschädigung -, dann beim Landesversorgungsamt Neumünster und bei den Versorgungsämtern in Heide und Kiel. Mit Rücksicht auf die ihm im Schwurgerichtsverfahren gegen Ric. und Ha. vorgeworfenen Straftaten hat das Land Schleswig-Holstein das Arbeitsverhältnis am 6.November 1962 fristlos gekündigt. Eine von ihm gegen diese Kündigung angestrengte Klage hat das Arbeitsgericht Kiel rechtskräftig durch Urteil vom 6.März 1963 abgewiesen. Durch Bescheid des Innenministers des Landes Schleswig-Holstein vom 2.Mai 1963 wurde festgestellt, dass ihm keine Rechte nach dem Gesetz zu Artikel 131 zustehen. Nach seiner Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis des Landes Schleswig-Holstein arbeitete der Angeklagte Ric. bis zu seiner Inhaftierung in der Schwurgerichtssache III 2/68 2 Ks 1/68 (gegen Ric. und Ha.) bei einer Möbelfirma, deren Aussenstände er eintrieb.

 

Der Angeklagte ist durch Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Kiel vom 11.April 1969 wegen Beihilfe zum Mord zu 7 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft verurteilt worden 6. Ausserdem sind dem Angeklagten Ric. die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 2 Jahren aberkannt worden. In der Zeit vom 6.November 1962 bis zum 16.Juli 1964 befand sich der Angeklagte Ric. in jener Sache in Untersuchungshaft. Die Strafhaft in jener Sache verbüsst er vom 20.Juli 1970 bis voraussichtlich zum 8.November 1975.

 

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den eigenen Angaben des Angeklagten Ric.

 

1.22 Nic.

 

Der Angeklagte Wilhelm Nic. wurde am 16.Juni 1914 7 als viertes von insgesamt sieben Kindern in Breslau geboren. Sein Vater wurde als Bahnbeamter häufig versetzt. Der Angeklagte Nic. besuchte in Brandenburg und dann in Frankfurt/Oder zunächst die Grundschule und anschliessend die Realschule bis zur Obersekundareife. Im Jahre 1929 trat er die Buch- und Verlagshandelslehre an. Nach bestandener Gehilfenprüfung war er dort von 1932 bis 1935 als Gehilfe tätig.

 

6 Siehe Lfd.Nr.702.

7 Lt. Urteilstenor: 19.Juni 1914.