Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526b BGH 28.05.1963 JuNSV Bd.XVIII S.127

 

Lfd.Nr.526b    BGH    28.05.1963    JuNSV Bd.XVIII S.129

 

E., Dr. Schumacher und Brünnert verurteilt worden sind und das Verfahren gegen den Angeklagten E. eingestellt worden ist.

 

1.

 

Die Einstellung betrifft eine vom Angeklagten E. während seines Einsatzes als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Kiew begangene Tat: Im Sommer 1943 liess er auf dem zu seiner Dienststelle gehörenden Gut Michalowka bei Kiew aus Verärgerung über die Flucht einiger Gefangener und zur Abschreckung der übrigen Gefangenen mindestens fünf Häftlinge erschiessen.

Das Schwurgericht, das diese Tat als Totschlag beurteilt, hat das Verfahren insoweit wegen Verjährung eingestellt. Es meint, die Hemmung der Verjährung nach Art.I, II Abs.3 des Ahndungsgesetzes von Württemberg-Baden vom 31.Mai 1946 (Reg.Bl. S.171) betreffe nicht unterschiedslos alle Fälle, in denen Verbrechen und Vergehen aus Gründen der nationalsozialistischen Staatsräson bis zum Zusammenbruch des Regimes nicht verfolgbar waren, sondern nur besonders ungeheuerliche und schwerwiegende Verbrechen. Es entnimmt dies dem Wortlaut des Art.I AhndungsG, wo gesagt ist, dass Verbrechen, die mit Gewalttaten und Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Gründen verbunden sind und die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Gründen nicht bestraft wurden, zu verfolgen sind, wenn Grundsätze der Gerechtigkeit (insbesondere die Gleichheit aller vor dem Gesetz) die nachträgliche Sühne verlangen. Es deutet also diese Vorschrift so, dass das Ahndungsgesetz nur für solche Taten gelte, für die ein gesteigertes Sühnebedürfnis in dem gekennzeichneten Sinne besteht.

Die Revision der Staatsanwaltschaft tritt dieser Auffassung des Schwurgerichts grundsätzlich nicht entgegen. Sie meint jedoch, dass die Tat wegen der in ihr liegenden Verstösse gegen das Völkerrecht so schwer wiege, dass sie unter Art.I AhndungsG falle.

Indessen kommt es hierauf nicht an. Wie der Senat bereits in einem Falle entschieden hat, in dem die für den Bereich des früheren Landes Württemberg-Hohenzollern gegebene Rechtslage zu prüfen war, bedurfte es einer besonderen Regelung für die Hemmung der Verjährung, wie sie in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone stattfand, überhaupt nicht, weil die Hemmung für alle Straftaten, deren Verfolgung in der nationalsozialistischen Zeit wegen der rechtsfeindlichen politischen Haltung der Machthaber unmöglich war, unmittelbar aus §69 StGB abzuleiten ist (siehe BGH NJW 1962, S.2308 Nr.16, insoweit in BGHSt. 18, 37 nicht abgedruckt). Hier ist für eine Unterscheidung zwischen mehr oder weniger sühnebedürftigen Taten, wie das Schwurgericht sie dem Art.I AhndungsG entnimmt, kein Raum. Es kann vielmehr bloss darauf ankommen, ob es sich im Einzelfall um eine Straftat handelt, deren Verfolgung der als Gesetz geachtete "Führerwille" objektiv entgegenstand. Das war hier - wie nicht näher dargelegt zu werden braucht - der Fall. An der infolgedessen eingetretenen Hemmung der Verjährung bis zum 8.Mai 1945, also dem Tage der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, hat das Ahndungsgesetz im Sinne einer Beseitigung dieser Hemmung nichts ändern können. Sein Zweck war es nicht, eine mögliche Verfolgung vom nationalsozialistischen Regime begünstigter Verbrechen abzuschneiden, sondern ganz im Gegenteil einzig und allein, die Verfolgung solcher Verbrechen sicherzustellen.

 

2.

 

Bei den Judenmorden hat das Schwurgericht das strafbare Tun der Haupttäter, als die es namentlich Hitler, Himmler und Heydrich bezeichnet, als einheitliche Handlung und demgemäss alle Tötungen von Juden um ihrer Abkunft willen seit Beginn des Russlandfeldzugs und für den Bereich des östlichen Kriegsschauplatzes als von jenen in Tateinheit begangenen angesehen. Das ist für sich genommen schon insoweit nicht ganz unzweifelhaft, als es sich um Exekutionen einerseits durch die Einsatzgruppe und andererseits durch die Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Kiew handelte. Mochte sich Hitler selbst mit der allgemeinen Weisung zur Tötung der in den besetzten Ostgebieten lebenden Juden begnügt und die Ausführung seiner Weisung im einzelnen sodann Himmler überlassen haben, so liegt es doch