Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.123

 

des Gerichts die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit für die Tat erfasst (BGHSt. 6, 120, 121).

 

Zum Begriff der Heimtücke gehört kein länger erwogener Tatplan oder eine längere Überlegung; es genügt, wenn der Täter - wie es hier nach den getroffenen Feststellungen beim Angeklagten E. vorliegt - die Umstände kennt, die die Tat zur heimtückischen machen, und zwar auch dann, wenn er einer raschen Eingebung zur Tat folgt (BGHSt. 2, 60, 61; 6, 120, 121). Es ist nicht entscheidend, ob die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers besonders listig oder planmässig i.S. eines länger erwogenen Tatplanes geschieht, ebensowenig auch, ob der Täter zu falschem und verschlagenem Verhalten neigt. Zur inneren Tatseite gehört lediglich, dass der Täter wie hier der Angeklagte E. in Kenntnis der dargelegten Umstände handelt, die das äussere Tatbild ergeben (OGHSt. 3, 73, 75).

In "heimtückisch" liegt auch nichts, was auf eine ruhige, besonnene und leidenschaftslose Ausführung hindeutet. Auf einer solchen Gefühlslage oder gar auf Kaltblütigkeit braucht heimtückisches Tun dem Sprachgebrauch nach nicht zu beruhen (BGHSt. (Gr.Sen.) 11, 139, 144).

Schliesslich verlangt die Heimtücke auch nicht noch zusätzlich einen besonders verwerflichen Beweggrund. Die Rechtsprechung misst den Beweggründen, wenn der Tatbestand des bewussten Ausnutzens der Arg- und Wehrlosigkeit vorliegt, keine selbständige Bedeutung bei. Die feindliche Willensrichtung des Täters gegen das Opfer, die dem Begriff der Heimtücke innewohnt, zeigt sich gerade darin, dass er dessen Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt; sie gibt dem Gesamtbild der Tat ihr Gepräge (BGHSt. (Gr.Sen.) 9, 385, 390). Dass die feindliche Willensrichtung beim Angeklagten E. gegenüber den Häftlingen, auf die er schoss, vorgelegen hat, ergibt sich aus den Feststellungen zum gesamten Tatgeschehen zur Überzeugung des Gerichts mit hinreichender Deutlichkeit.

 

Aus alledem folgt somit, dass der Angeklagte E. tatbestandsmässig i.S. der Heimtücke nach §211 Abs.2 StGB gehandelt hat. Ob dadurch auch tatsächlich ein Mensch oder mehrere Menschen getötet worden sind, hat das Schwurgericht nicht mit einer für eine Verurteilung wegen vollendeter Tat ausreichenden Sicherheit feststellen können. Deshalb liegt rechtlich nur eine versuchte Tat vor.

 

2. Rechtfertigungsgründe sind nicht gegeben. Der Angeklagte und auch sein Verteidiger haben sich auch nicht darauf berufen. Die Behauptung des Angeklagten E., er sei von einem von 6-10 zur Erschiessung ausgesonderten Häftlingen angesprungen worden, betrifft wie unter II. dargelegt, nicht den hier festgestellten und zu entscheidenden Tatvorgang, der Gegenstand des Eröffnungsbeschlusses ist.

 

3. Der Angeklagte E. hat auch schuldhaft gehandelt. Die Feststellung, dass er mit unbedingtem Vorsatz gehandelt, also mit Wissen und Wollen zu töten versucht hat, liegt nahe. Nur ganz geringe, kaum noch erhebliche Zweifel daran haben das Schwurgericht veranlasst, nicht unbedingten, sondern nur bedingten Vorsatz festzustellen. Der Angeklagte E. hat blindlings in die angetretenen Häftlinge hineingeschossen. Dabei hat er mit der Möglichkeit gerechnet, dass dadurch einer oder auch mehrere von ihnen tödlich getroffen werden können; das hat er auch gebilligt.

Der Angeklagte hat auch das heimtückische seines Handelns gekannt und gewollt. Ihm waren die Arg- und Wehrlosigkeit der Häftlinge bewusst, und er hat sie auch gegen die Häftlinge ausnutzen wollen. Insoweit liegt unbedingter Vorsatz vor. Im übrigen wird dazu auf das unter 1 zur inneren Tatseite der Heimtücke Dargelegte verwiesen. Entschuldigungsgründe sind nicht gegeben. Die Verteidigung des Angeklagten E. hat sich auf Putativnotwehr berufen. Sie liegt nicht vor. Darauf hat sich nicht einmal der Angeklagte E. selbst berufen; er hat allerdings, wie dargelegt, einen völlig anderen als den hier zu entscheidenden Tatvorgang geschildert. Dennoch hat das Schwurgericht auch von Amts wegen das Vorliegen dieses Entschuldigungsgrundes zu prüfen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angeklagte E. nicht irrtümlich angenommen, dass ein gegenwärtiger Angriff der Häftlinge gegen ihn stattfindet oder unmittelbar bevorsteht. Dem steht schon entgegen, dass er gewusst hat, dass die angetretenen