Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.119

 

verschlossen waren, der Kraftfahrer hinter dem Führerhaus in ein Auspuffrohr einen Metallstutzen einschob, wodurch die Auspuffgase des Motors nicht ins Freie kommen konnten, sondern in das Innere des Wagens eindrangen. Als ich dastand, sah ich, wie der Kraftfahrer diesen Stutzen einführte und den Motor laufen liess. Der Wagen blieb bei laufendem Motor etwa 10-15 Minuten stehen. Als die tödlichen Abgase in den Wagen strömten, sah man, wie sich der Wagen bewegte. Offenbar wehrten sich die Eingesperrten gegen die Einatmung des Gases. Schreie konnte man durch den dickgepolsterten Wagen nicht hören. Die Schwankungen des Wagens wurden zusehends geringer. Als sie schliesslich ganz aufhörten, sagte der Fahrer, dessen Namen ich nicht mehr weiss: "So, jetzt sind wir fertig; jetzt können wir losfahren." Ich verstand darunter, dass die Leute im Wagen jetzt tot waren."

Die Schilderung der einzelnen Vorgänge des Kraftfahrers, die der Angeklagte P. beobachtet haben will, legt die Annahme nahe, dass P. schon vorher von der bevorstehenden Vergasung gewusst hat. In dieser Vernehmung hat P. auch nicht sein Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, dass vergast wurde und nicht, wie er bisher nur erlebt hatte, erschossen werden sollte. Diese Annahme wird aber wieder zweifelhaft durch seine einleitende Bekundung, dass er sich habe erzählen lassen, dass es so und so geschehen sei. Daraus würde wiederum folgen, dass er von der Vergasung zuvor doch keine Kenntnis hatte und die einzelnen Vorgänge auch nicht beobachtet hat. Diese Widersprüche haben in der Hauptverhandlung auch durch die Vernehmung des Untersuchungsrichters keine Aufklärung gefunden. Daraus aber wird deutlich, dass diese Vernehmung, deren Protokoll insoweit verlesen worden ist, die Richtigkeit der Einlassung P.s in der Hauptverhandlung wohl in Zweifel setzt, sie aber nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht zu widerlegen vermag.

Daraus aber folgt rechtlich, dass die dem Angeklagten P. vorgeworfene Beihilfehandlung zum Mord nicht erwiesen ist.

 

Als P. von der Vergasung erfuhr, lief der Gaswagenmotor bereits einige Minuten auf Hochtouren; die Vergasung war bereits im Gange, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Tod der Häftlinge bereits eingetreten war. Da genaue Daten über die für den Eintritt des Todes erforderliche Zeit der Gaszufuhr wie auch über die bis zur Kenntnisnahme von P. davon verflossene Zeit der Gaszufuhr nicht festgestellt werden konnten, muss davon ausgegangen werden, dass der Tod der Häftlinge zu dieser Zeit bereits eingetreten war.

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte P. bis zu diesem Zeitpunkt fördernd auf das Tatgeschehen eingewirkt hat. Dass der Gaswagenfahrer mit der Vergasung auch begonnen haben würde, bevor der Angeklagte P. auf dem Gefängnishof eingetroffen war - was jedenfalls nicht auszuschliessen ist -, so dass die blosse Anwesenheit des Angeklagten P. für den Erfolg nicht ursächlich gewesen wäre, würde der Annahme einer Beihilfehandlung zwar nicht entgegenstehen. Die Ursächlichkeit i.S. der conditio sine qua non ist für den Begriff der Beihilfe nicht erforderlich. Erforderlich ist nur, dass der Gehilfe die Haupttat gefördert hat. Das aber ist hier nach der Überzeugung des Schwurgerichts nicht erwiesen.

 

Der Gefängnisverwalter und auch der Gaswagenfahrer haben die Vorbereitungen für die Vergasung völlig selbständig und ungeachtet der Anwesenheit des Exekutionsleiters getroffen. Der Exekutionsleiter kam vielfach erst zum Gefängnishof, als die Häftlinge bereits verladen waren; er hatte auch keine Exekutionsliste und konnte daher keinen Einfluss auf die Auswahl der zu exekutierenden Häftlinge nehmen. Der Angeklagte P. hat auch unwiderlegt keinerlei Befehle oder Anweisungen erteilt. Der durch lange Monate hindurch bei zahlreichen Vergasungen bewährte Gaswagenfahrer, der nicht mehr ermittelt werden konnte, begann mit der Vergasung - dem Einströmenlassen der Motorgase in das Wageninnere -, als die Häftlinge eingeladen und die Türen zugesperrt waren. Ob er dazu das Erscheinen des Exekutionsleiters abwartete oder ob seine Bereitschaft, damit zu beginnen, durch die Anwesenheit des Exekutionsleiters gefördert wurde, hat die Hauptverhandlung nicht erwiesen. Es ist nicht auszuschliessen, dass er allenfalls die Abfahrt vom Gefängnishof zur Entladungsstelle vom Eintreffen des Exekutionsleiters abhängig machte oder auch nur in der Bereitschaft, das zu tun durch die Anwesenheit des Exekutionsleiters bestärkt wurde.