Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.117

 

war. Das hat Bl. zwar in allen seinen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und dann auch in der Hauptverhandlung bekundet. Seine Aussagen sind jedoch nicht zuverlässig und genau genug, um den Angeklagten Kl. zu überführen.

 

Angesichts der beinahe 20 Jahre langen Zeitspanne zwischen dem Tatgeschehen und den Bekundungen ist das Schwurgericht gehalten, besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu stellen, so dass jeder vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Aussage auszuschliessen ist. Der Zeuge Bl. hat nicht mehr bekunden können, als das Kl. bei der Exekution anwesend war und "oben am Grubenrand" stand.

Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung (20.8.1959, VI, 3935) hat er noch weniger bekundet: Kl. sei zur Exekution "mitgefahren". Eine Seite später heisst es dann im Vernehmungsprotokoll, dass er wohl einen SS-Führer an der Exekutionsstelle gesehen habe, es müsse ein SS-Ober- oder Untersturmführer gewesen sein, dessen Namen er aber beim besten Willen nicht sagen könne. Der Name Kl. ist dabei nicht gefallen. Bei der nächsten Vernehmung dann, in der Bl. erstmals eingeräumt hat, selbst geschossen zu haben, "stand Kl. oben am Grubenrand" (7.11.1959, IX, 47).

Dass Kl. bei einer Unterhaltung nach der Exekution zu ihm, Bl., gesagt habe, die Teilnahme sei ihm, Bl. wohl schwer gefallen (IX, 47), hat Bl. in der Hauptverhandlung nicht mehr aufrechterhalten können; daran erinnere er sich nicht mehr. Die nächste, und zwar richterliche Vernehmung sagt wieder nicht mehr, als dass Kommandoführer bei der Exekution Obersturmführer Kl. gewesen sei (19.12.1959, IX, 78). Bei seiner Vernehmung durch den Oberstaatsanwalt (12.3.1960, X, 475/77) sah der Zeuge Bl. "Kl. oben am Grubenrand stehen". Er konnte sich jedoch nicht mehr erinnern, Kl. schon auf der Fahrt gesehen zu haben; "Ich habe an diese Einzelheiten keine Erinnerung mehr", sagte der Zeuge dazu. Gleichwohl heisst es dann in seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter (9.8.1960, E 629) "Ich weiss genau, dass Kl. damals mitfuhr, zwar nicht in meinem Kraftwagen, sondern in einem anderen", und auf der folgenden Seite behauptet er "mit aller Bestimmtheit, dass Kl. bei dieser Exekution zugegen war". Schliesslich hielt der Zeuge dann auch in der Hauptverhandlung daran fest; "Der Leiter der Exekution war Kl., er stand ausserhalb der Mulde am Rande".

 

Der Angeklagte Kl. räumt ein, zwei Exekutionen geleitet zu haben, und zwar eine etwa im Februar 1943 und die andere bereits als Obersturmführer, also nach dem 21.6.1943, seinem Beförderungstage; dagegen hat er von Anfang an bestritten, bei der von Bl. bekundeten Exekution zugegen gewesen zu sein oder sie geleitet zu haben.

Das Schwurgericht vermag nicht auszuschliessen, dass der Zeuge Bl. einer Erinnerungstäuschung erlegen ist. Das liegt deshalb nahe, weil Bl. an den Angeklagten Kl. bei der Exekution keine andere Erinnerung als lediglich die haben will, dass Kl. zugegen war und oben am Grubenrand gestanden hat. An eine andere auffallende Verhaltensweise, die eindrücklicher gewesen sein und deshalb mehr Anlass gegeben haben könnte, in der Erinnerung haften zu bleiben, kann sich der Zeuge nicht mehr erinnern. So kann der Zeuge - wenigstens nicht ausschliessbar - unbewusst der Schlussfolgerung verfallen sein, ein Führer müsse dabeigewesen sein, und weil Kl. sein unmittelbarer Vorgesetzter bei Abteilung I/II gewesen war, mit dem er täglich Umgang hatte, und weil er ihm von allen Führern zu dieser Zeit am besten und vielleicht auch allein in Erinnerung geblieben ist, sei dieser Führer Kl. gewesen. Für eine solche unbewusste Schlussfolgerung ist möglicherweise deshalb Raum, weil die Tatsache, wer Exekutionsleiter war, hinter dem eigentlichen Exekutionsgeschehen, an dem Bl. selbst als Schütze unmittelbar beteiligt war, an Eindruckskraft weit zurücktritt und dadurch möglicherweise hinsichtlich dieser Tatsache eine ausfüllbare Lücke bleibt. Angesichts dessen aber musste die Bekundung nach Ablauf von beinahe 20 Jahren seit dem Tatgeschehen in ihrer Beurteilung zu vage bleiben, um nach der Überzeugung des Schwurgerichts darauf eine Verurteilung stützen zu können.

 

Der Angeklagte Kl. hat auch kein Geständnis hinsichtlich dieser Tat abgelegt. Seine Einlassung bei seiner ersten Vernehmung vor der Kriminalpolizei (8.9.1959, V, 3437 ff.) und der daran anschliessenden vor dem Haftrichter (9.9.1959, V, 3455 ff.) ging dahin, dass nur bei der letzten von ihm geleiteten Exekution Kinder dabeigewesen seien.