Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.116

 

andere Gefangene zu erschiessen. Endlich aber ist es gerichtsbekannt, dass solcherlei Massnahmen an allen Fronten und in allen Kriegen vorgekommen sind, ohne dass die dafür Verantwortlichen immer zur Rechenschaft gezogen worden wären oder nachträglich überhaupt noch hätten festgestellt werden können. Ob das auch Rechtens war, kann unentschieden bleiben. Es dient jedoch zur Erhellung dessen, dass die Gerechtigkeit, der die Gleichbehandlung aller angesichts der Gleichheit aller vor dem Gesetz immanent ist, in vorliegendem Falle keine nachträgliche Sühne mehr verlangt. Endlich ist nicht festgestellt, ob es sich bei der Erschiessung dieser Häftlinge um ein Verbrechen handelte, das mit Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Gründen verbunden war. Es hat im einzelnen nicht ermittelt werden können, aus welchen Gründen auch immer die Häftlinge des Gutes Michalowka in Haft genommen worden waren. Das kann aus den oben genannten im Gesetz beschriebenen Gründen geschehen sein; es können aber auch Partisanen, Saboteure oder Agenten gewesen sein, deren Bekämpfung Teil der Kriegsführung gewesen ist. Nach alledem ist die Verjährung für diese Straftat durch das Ahndungsgesetz von Württemberg-Baden vom 31.5.1946 nicht als gehemmt anzusehen.

 

Die Verjährung hat aber auch nicht durch die 1945 auf Anordnung der alliierten Truppen erfolgte vorübergehende Schliessung der deutschen Gerichte so lange geruht, als dass sie dadurch in vorliegendem Falle nicht eingetreten wäre. Der Bezirk des erkennenden Gerichts ist am 4.4.1945 durch die alliierten Truppen besetzt worden; damit waren die deutschen Gerichte dieses Bezirks geschlossen und ihre amtlichen Befugnisse ihnen entzogen. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit des Landgerichts Karlsruhe erfolgte auf Grund einer Ermächtigung der Militärregierung dazu am 29.8.1945. Während dieses Zeitraumes - 4 Monate und 25 Tage - hat auf Grund der gesetzlichen Vorschrift von Art.I MRG Nr.2 die Strafverfolgung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden gem. §69 StGB geruht. Die 15jährige Verjährungsfrist vom Zeitpunkt der Tat an verlängert sich daher um den Zeitraum von 4 Monaten und 25 Tagen. Da ein genauerer Zeitpunkt für die Tat als Sommer 1943 nicht festgestellt werden konnte, hingegen aber die erste richterliche Handlung (Erlass des Haftbefehls), die die Verjährung nach §68 StGB unterbrechen würde, am 10.12.1958 geschehen ist, muss zu Gunsten des Angeklagten E. davon ausgegangen werden, dass die Tat spätestens am 15.7.1943 begangen worden war und somit am 10.12.1958 verjährt war.

Daraus aber folgt, dass das Verfahren gegen den Angeklagten E. insoweit nach §260 StPO durch Urteil auf Kosten der Staatskasse einzustellen war.

 

II. Der Angeklagte Kl. bei der KdS-Dienststelle in Kiew

 

Dem Angeklagten Kl. wird in Anklage und Eröffnungsbeschluss vorgeworfen, er habe als SS-Obersturmführer bei der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in Kiew im April/Mai 1943 eine Erschiessung geleitet, bei der u.a. mindestens 10 Juden, darunter Frauen und Kinder erschossen worden seien (Verbrechen, strafbar nach §211, 49, 73 StGB).

Die Hauptverhandlung hat den Schuldvorwurf nicht bestätigt.

 

Bei der dem Angeklagten Kl. vorgeworfenen Exekution handelt es sich um die von dem Zeugen Bl., damals SS-Unterscharführer bei Abteilung II, im Ermittlungsverfahren geschilderte Exekution, in deren Verlaufe auch 6-7 Frauen und ebenso viele Kinder, darunter 2 Kinder im Alter von 4-6 Jahren, erschossen worden sein sollen. Allein dieses Geschehen ist die im Eröffnungsbeschluss bezeichnete Tat und daher Gegenstand der Urteilsfindung. Es ist aber durch die Hauptverhandlung nicht erwiesen. Die Bekundungen des Zeugen Bl. in der Hauptverhandlung reichen nicht für die eine Verurteilung tragende sichere Feststellung aus, dass der Angeklagte Kl., der das bestreitet, Leiter dieser Exekution gewesen ist.

Es kann dahinstehen, ob durch Bl.s Bekundung erwiesen ist, dass Kinder hierbei erschossen wurden. Bl. hat allerdings durch alle Vernehmungen hindurch daran festgehalten, dass Kinder dabeigewesen seien; nur hinsichtlich des Alters wurde er schwankend, in der Hauptverhandlung nannte er es zuletzt mit 6-8 Jahren.

Zweifel bestehen vor allem daran, ob der Angeklagte Kl. der Leiter der Erschiessung