Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.114

 

Einzelfall angedrohten - nicht nach der verwirkten - Strafe, §67 StGB. Bis zur Neufassung von §§49 und 44 StGB durch VO vom 29.5.1943 (RGBl. I, 341) waren die Beihilfe zum Verbrechen wie auch das versuchte Verbrechen milder zu bestrafen als das vollendete Delikt, §§49 Abs.2, 44 Abs.1 StGB a.F. Durch ihre Neufassung vom 29.5.1943 wurde deren zwingende Strafmilderung in eine nur fakultative abgeändert, §§49 Abs.2, 44 Abs.1 StGB n.F. Soweit die strafbaren Handlungen der Angeklagten bis zu diesem Zeitpunkt begangen worden waren, sind nach §2 Abs.2 StGB die älteren Vorschriften als das mildeste Gesetz anzuwenden.

Danach sind unter Anwendung des mildesten Gesetzes, also der §§49 und 44 a.F., für die von allen drei Angeklagten bis zum 29.5.1943 begangenen Beihilfehandlungen zum Mord als Höchststrafe 15 Jahre Zuchthaus angedroht. Ihre Strafverfolgung wäre somit nach Ablauf von 15 Jahren (§67 Abs.1 zweiter Halbsatz StGB) hinsichtlich Kowno und Dünaburg im Jahre 1956, hinsichtlich Kiew beim Angeklagten Dr. Schumacher im Jahre 1957, bei den Angeklagten E. und Brünnert im Jahre 1958 verjährt.

Die Strafverfolgung ist aber bei allen drei Angeklagten nach dem bereits bei dem Angeklagten K. (s.o. C.V.3.c.) angeführten Ahndungsgesetz von Württemberg-Baden vom 31.5.1946 (Reg.Bl. S.171) i.V. mit §69 StGB gehemmt worden.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind die begangenen Verbrechen so ungeheuerlich und so schwerwiegend, dass "die Grundsätze der Gerechtigkeit, insbesondere der Gleichheit aller vor dem Gesetz" trotz des seither verstrichenen Zeitraumes "die nachträgliche Sühne verlangen". Es handelt sich auch um Verbrechen, "die mit Gewalttaten und Verfolgungen aus rassischen Gründen verbunden sind und" - das ergibt sich aus der Anordnung durch das nationalsozialistische Gewaltregime von selbst - "auch aus rassischen Gründen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht bestraft wurden". Dass die Angeklagten dabei auf Befehl gehandelt haben, befreit sie nicht von der Verantwortlichkeit für die von ihnen begangenen Verbrechen; das kann nur strafmildernd berücksichtigt werden (Art.2 Abs.2 des Ahndungsgesetzes von Württemberg-Baden).

Nach Art.2 Abs.3 a.a.O. ist die Strafverfolgung für derartige Verbrechen vom 30.1.1933 bis 1.7.1945 gehemmt gewesen; die Verjährungsfrist hat somit erst am 1.7.1945 zu laufen begonnen. Daraus aber folgt, dass die seit dem Jahre 1941 bis zum 29.5.1943 begangenen Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord unter Berücksichtigung dessen, dass gegen die Angeklagten die die Unterbrechung der Verjährung bewirkenden richterlichen Handlungen (§68 StGB), nämlich der Erlass der Haftbefehle, gegen den Angeklagten E. am 10.12.1958, gegen den Angeklagten Dr. Schumacher am 27.8.1959 und gegen den Angeklagten Brünnert am 15.7.1959 ergingen, nicht verjährt sind.

 

E. Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Angeklagten E. (Gut Michalowka bei Kiew) und Freispruch der Angeklagten Kl. und P. (beide bei der KdS-Dienststelle in Kiew)

 

I. Der Angeklagte E. auf dem Gut Michalowka bei Kiew

 

1. Tatsächliche Feststellungen

 

Dem Angeklagten E. wird in Anklage und Eröffnungsbeschluss weiter vorgeworfen, er habe gleichfalls im Sommer 1943 auf dem zur KdS-Dienststelle gehörenden, etwa 15 km ausserhalb Kiews gelegenen Gut Michalowka aus Verärgerung über die Flucht eines Gefangenen und zur Abschreckung der übrigen Gefangenen mindestens 5 Häftlinge erschiessen lassen (Verbrechen, strafbar nach §§211, 73 StGB).

 

Dazu hat die Hauptverhandlung aufgrund der uneidlichen, jedoch glaubhaften Bekundung des Zeugen Ka. zu folgenden Feststellungen geführt:

Die KdS-Dienststelle unterhielt etwa 15 km von Kiew entfernt in Michalowka ein landwirtschaftliches Gut, das der Zeuge Ka., damals SS-Rottenführer, verwaltete und auf dem im Sommer 1943 etwa 40-50 Häftlinge aus dem Arbeitslager Kiew arbeiteten und auch untergebracht waren; sie wurden ebenfalls von Angehörigen des Schuma-Bataillons bewacht.