Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.112

 

die festgestellte Beihilfe gar nicht geleistet, um einer ihnen sonst drohenden gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben zu entgehen. Das liegt bei den Angeklagten E. und Brünnert offener und deutlicher auf der Hand als, was später erörtert wird, bei dem Angeklagten Dr. Schumacher.

Die Angeklagten E. und Brünnert waren willfährige Anhänger des nationalsozialistischen Gewaltregimes und gehorsame SS-Führer von unerschütterlicher Befehlstreue; der Angeklagte E. aus Überzeugung und Anerkennung des nationalsozialistischen Gedankengutes und seiner Zielsetzung, der Angeklagte Brünnert mehr aus jugendlichem Eifer und mangelndem Urteilsvermögen. Beide waren freiwillig in die SS eingetreten und sahen im SS-Führer ihren Lebensberuf. Auch ihr Streben nach Karriere war mitbestimmend für ihre bedingungslose Pflichterfüllung für den "Führer" und den Nationalsozialismus, dem sie schon jahrelang bereitwillig gedient und dessen Zielsetzung vor allem auch im Blick auf die jüdische Rasse sie klar erkannt hatten. Bei E. führte das dazu, dass er bereits im Herbst 1943 im Alter von erst 32 Jahren zum SS-Standartenführer befördert wurde. Der Angeklagte Brünnert räumt selbst ein, dem Angebot E.s, als sein Adjutant ihm nach Kiew zu folgen, der damit verbundenen besseren Aufstiegsmöglichkeiten wegen und vor allem auch wissend, dass dort der ihm bekannte Judenvernichtungsbefehl praktiziert werde, nachgekommen zu sein. Der Angeklagte E. bezeichnet sich selbst z.Zt. des nationalsozialistischen Regimes als Antisemiten und hat diese Einstellung auch schon früher u.a. als stellvertretender Leiter der Zentralabteilung II/1 des SD Hauptamtes unter Beweis gestellt.

 

Aus dieser treuen, durch viele Jahre hindurch bewährten Anhänger- und Mitstreiterschaft zum Nationalsozialismus haben die Angeklagten E. und Brünnert nach der Überzeugung des Schwurgerichts aus falsch verstandenem Pflichtgefühl und Gehorsamspflicht den verbrecherischen Befehl des "Führers" ausgeführt, ohne eine Nichtbefolgung dieses Befehls überhaupt ernstlich ins Auge zu fassen und Möglichkeiten zu erwägen, sich der ihnen angesonnenen Teilnahme an den Tötungshandlungen auf irgendeine Weise zu entziehen.

Der Angeklagte Brünnert räumt das freimütig ein.

Aber auch der Angeklagte E. ist aus seiner vorliegend festgestellten Haltung heraus dem Befehl gefolgt, ohne dass es von höherer Stelle nötig gewesen wäre, seinen Willen dahin zu beugen. An dieser Überzeugung des Schwurgerichts vermag auch nichts das Gespräch E.s mit Brigadeführer Dr. Stahlecker, dem Führer der Einsatzgruppe A, im Juli 1941 in Kowno zu ändern, wo Dr. Stahlecker E. auf dessen Bedenken hinsichtlich der Rechtmässigkeit des Judenvernichtungsbefehls mit dem Hinweis begegnete, jede Zuwiderhandlung dagegen sei Führerhochverrat. Schon damals, nur ein halbes Jahr vor seiner Kommandierung als KdS nach Kiew, bedurfte der Wille des Angeklagten E. nicht der Drohung, um zur Ausführung von Führerbefehlen, auch dem Judenvernichtungsbefehl, gebeugt zu werden. Der Angeklagte E. war ein treuer Gefolgsmann des Nationalsozialismus. Wäre er das nicht gewesen und wäre er zu diesem bedingungslosen Gehorsam, dem keine Handlung durch Drohung abgenötigt zu werden brauchte, nicht bereit gewesen, dann hätte er es ernsthaft unternommen, Möglichkeiten zu erwägen, von der Ausführung dieses Befehls zu entkommen. Das hat er jedoch zu keiner Zeit, weder als Führer des Einsatzkommandos 1b noch als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD von Kiew getan. Seine Willensbildung ist somit nach der Überzeugung des Schwurgerichts durch keine Drohung - weder von Dr. Stahlecker noch von Dr. Thomas oder von einer anderen höheren Stelle noch durch eine mit dem Vernichtungsbefehl allenfalls stillschweigend verbundene Drohung - beeinflusst und sein Wille nicht gebeugt worden.

Der Angeklagte E. wie auch der Angeklagte Brünnert sind daher weder zu den in Ausführung des Befehls verübten strafbaren Handlungen durch Drohung genötigt worden oder haben sich irrtümlich für genötigt gehalten, noch haben sie die strafbaren Handlungen begangen, um einer ihnen sonst drohenden Gefahr für Leib oder Leben zu entgehen (BGHSt. 3, 275, 276).

 

Aber auch der Angeklagte Dr. Schumacher hat nach Überzeugung des Schwurgerichts nicht in einem seine Schuld ausschliessenden Befehlsnotstand gehandelt.

Dr. Schumacher hat bei der Sonderbehandlung nicht deshalb mitgewirkt, um einer ihm