Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.111

 

eines Befehles in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt wird. Nach §47 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 MStGB trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers, wenn ihm bekannt war, dass der Befehl eines Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.

Die Angeklagten haben - sie bestreiten das auch nicht - den verbrecherischen Zweck des Befehles gekannt. Sie haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts von dem verbrecherischen Charakter des Befehls so sicheres Wissen gehabt, wie es auch der Bundesgerichtshof im BGHSt. 5, 244 unter ausdrücklicher Ausschliessung der Anwendung der allgemeinen Grundsätze über den Verbotsirrtum für die Bestrafung des Teilnehmers nach §47 MStGB verlangt. Keiner von ihnen hat die ausnahmslose Tötung von Juden beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen nur aus rassischen Gründen für Rechtens gehalten. Sie haben alle gewusst, dass die ihnen anbefohlenen Handlungen Verbrechen darstellten und unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt waren. Darum kann ihr tatbestandsmässiges rechtswidriges Handeln nicht nach §47 MStGB entschuldigt werden.

 

bb. Die Angeklagten haben auch nicht in einem ihre Schuld ausschliessenden Befehlsnotstand nach §52 StGB (Nötigungsstand) oder §54 StGB (Notstand) gehandelt. Darauf berufen hat sich ernsthaft nur der Angeklagte E.

Der Angeklagte Dr. Schumacher dagegen, der seinen Verteidiger gebeten hatte, nicht auf Freispruch zu plädieren, hat ausdrücklich erklärt, dass er sich nicht darauf berufe.

Der Angeklagte Brünnert hat durch seinen Verteidiger auch für sich Befehlsnotstand in Anspruch genommen, ohne jedoch selbst dazu Tatsachen vorgetragen zu haben. Gleichwohl hatte das Schwurgericht auch bei den letztgenannten Angeklagten das Vorliegen dieses Entschuldigungsgrundes zu prüfen.

 

Der Angeklagte E. verteidigt sich damit, dass er dann, wenn er sich geweigert hätte, den Judenvernichtungsbefehl auszuführen, mit Sicherheit einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt gewesen wäre. Seine beiden unmittelbaren Vorgesetzten, beim EK 1b der SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker als Führer der Einsatzgruppe A, beim KdS der Standartenführer Dr. Thomas als BdS, hätten keine Befehlsverweigerung geduldet. Dem Dr. Stahlecker seinerzeit in Kowno vorgehaltenen Zweifel an der Rechtmässigkeit des Judenerschiessungsbefehls sei dieser, wie der Angeklagte E. unwiderlegt vorgetragen hat, mit dem Hinweis darauf begegnet, dass jede Zuwiderhandlung Führerhochverrat sei. Standartenführer Dr. Thomas, der unduldsam und brutal gewesen sei, habe keine andere Auffassung vertreten. Darauf kommt es jedoch entscheidend nicht an.

Beim Nötigungsstand muss der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden sein, §52 StGB. Nach der Rechtsprechung ist es aber - für §§52 und 54 StGB gleichermassen - erforderlich, dass der Täter das Bewusstsein dieser Gefahr gehabt und sich mit dem Bestreben, ihr auszuweichen, zu der ihm angesonnenen Handlung entschlossen hat. Wenn ein Angeklagter aus anderen Gründen als in diesem Bestreben den Befehl ausgeführt hat, sind die §§52 und 54 StGB nicht anwendbar.

Es ist ferner nötig, dass dem Täter die Handlung durch die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt wird (§52 StGB), dass also sein Wille durch diese Drohung gebeugt wird (BGHSt. 3, 271 ff., 275, 276; OGHSt. 1, 310, 313).

 

Diese Voraussetzungen liegen bei dem Angeklagten E. wie auch bei dem Angeklagten Brünnert nicht vor. Sie haben sie auch nicht irrtümlich angenommen.

Es kann hier unentschieden bleiben, ob sich die Angeklagten tatsächlich oder auch nur vermeintlich bei Nichtbefolgung des Befehls, Juden zu töten, einer Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt haben würden. Nach der aus den getroffenen Feststellungen gewonnenen Überzeugung des Schwurgerichts ist den Angeklagten die Ausführung des Judenvernichtungsbefehls gar nicht durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt, ihr Wille also gar nicht gebeugt worden. Und sie haben auch