Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.108

 

b. Die Rechtswidrigkeit der befohlenen Vernichtung schuldloser Menschen liegt auf der Hand. Sie wird auch nicht durch Rechtfertigungsgründe, so etwa durch den der Staatsnotwehr (§53 StGB) oder des übergesetzlichen Notstandes bzw. Staatsnotstandes (§54 StGB) beseitigt.

Die Rechtfertigungsgründe der Staatsnotwehr und des Staatsnotstandes zu Gunsten des Staates werden in der Rechtsprechung neuerdings anerkannt, sind aber auf verhältnismässig seltene Ausnahmefälle zu beschränken, vor allem auf die, in denen der Staat in seinem Bestande bedroht ist (Schönke-Schröder, 10.Aufl., Anm.III zu §53 StGB und Anm.IV zu §54 StGB; RGSt. 63, 220).

aa. Staatsnotwehr (§53 StGB) kommt schon deshalb nicht in Frage, weil es sich bei den Vernichtungsmassnahmen nicht etwa um die Abwehr eines in der Gegenwart drohenden Angriffs gehandelt hat, was auch die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts gewusst haben. Notwehr darf nicht zu dem Zweck ausgenutzt werden, um in aller Zukunft die Fortsetzung oder Wiederholung eines Angriffs oder gar die Begehung eines noch gar nicht erfolgten Angriffs, wie es hier der Fall gewesen ist, unmöglich zu machen (RGSt. 63, 222).

bb. Übergesetzlicher Notstand (§54 StGB) scheidet deshalb aus, weil es an der Verhältnismässigkeit der Schwere der Gefahr und der Schwere der durch die Abwehrhandlung begangenen Rechtsgüterverletzung fehlt. Die Massentötungen der Juden sind auch nicht im entferntesten das einzige Mittel gewesen, um das höhere Rechtsgut, nämlich das deutsche Reich und das deutsche Volk, zu schützen (RGSt. 63, 226), sofern man überhaupt mit RGSt. 61, 242 den Bestand des Staates als das höhere Rechtsgut anzusehen vermag. Dies haben die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch klar erkannt.

cc. Die Massentötungen der Juden sind auch nicht als Kriegsmassnahme zu rechtfertigen. Selbst wenn zu Gunsten der Haupttäter unterstellt werden würde, dass die Massentötungen der Juden eine Kriegsmassnahme gewesen seien, wäre diese Massnahme völkerrechtswidrig und damit rechtswidrig gewesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Haager Landkriegsordnung (LKO) vom 18.10.1907 (RGBl. 1910 S.132 ff.), gegen deren Art.23b und c, 43, 46 und 50 diese Massnahmen verstossen haben, auf den Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion Anwendung findet, weil die Sowjetunion dem Haager Abkommen sowie dem Genfer Abkommen nicht beigetreten ist. Auf jeden Fall greifen auch hier die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts und damit mindestens die allgemeinen Bestimmungen der LKO ein, wonach der Bevölkerung eines besetzten Staates ein gewisser Mindestbestand an Rechten zu gewährleisten ist, deren Verletzung die Grenze zwischen Recht und Unrecht überschreitet. Das haben auch die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts gewusst (BGHSt. 1, 391, 397/398). Das geht auch aus dem hohen Grad der Geheimhaltung der Befehle zur Judenvernichtung und der Berichte über deren Ausführung hervor.

 

c. Die Haupttäter haben als mittelbare Täter auch schuldhaft gehandelt.

aa. Ihr Vorsatz hinsichtlich der Tötung mit Überlegung nach §211 StGB a.F. ergibt sich schon aus dem dazu unter 1.a.aa. Ausgeführten.

bb. Hinsichtlich der niedrigen Beweggründe haben sie die Umstände gekannt, die den Antrieb zu ihrem Handeln zu einem besonders verwerflichen machen (BGHSt. vom 5.12.1950 in L/M Nr.2 zu §211 StGB). Die Haupttäter haben gewusst, dass die Massentötung der Juden nur aus rassischen Gründen, also aus Gründen erfolgt, durch welche die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtet wird. Sie haben dies auch gebilligt.

cc. Desgleichen haben die Haupttäter gewusst und auch gebilligt, dass es bei der Durchführung dieser Tötungen seitens der damit Beauftragten zu allen möglichen Scheusslichkeiten kommen werde, zu denen es dann auch - wie festgestellt - gekommen ist, und dass darunter die Opfer körperlich und seelisch zu leiden haben würden, wie es bei solchen Geschehnissen auch gar nicht anders zu erwarten ist. Wenn sie trotz dieser klaren Erkenntnis diese Tötungen bedenkenlos und erbarmungslos haben durchführen lassen, so haben sie aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus gehandelt.

dd. Nach den unter 1.b.aa., bb. getroffenen Feststellungen scheiden Putativnotwehr und Notstand als Schuldausschliessungsgründe aus.