Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.107

 

durch die KdS-Dienststellen auf dem Befehlswege durchführen lassen.

 

a. Sie haben die Tatbestandsmerkmale von §211 a. und n.F. StGB verwirklicht.

aa. Da die Exekutionen in Kowno und in Dünaburg im Juli 1941 noch vor der mit Wirkung vom 15.9.1941 erfolgten Neufassung von §211 StGB durch Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4.9.1941 (RGBl. I, S.549) geschehen sind, findet nach §2 Abs.2 StGB auf diese Fälle die genannte alte Bestimmung Anwendung, weil sie zur Tatzeit gegolten hat. Danach wurde "wegen Mordes mit dem Tode bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat". Diesen Tatbestand haben die Haupttäter erfüllt.

Mit Überlegung handelt im Sinne von §211 a.F. StGB, wer bei der Ausführung in genügend klarer Erwägung über den zur Erreichung seines Zwecks gewollten Erfolg der Tötung, über die zum Handeln drängenden und von diesem abhaltenden Beweggründe sowie über die zur Herbeiführung des gewollten Erfolges erforderliche Tätigkeit handelt (RGSt. 42, 262). Aus der vorausschauenden Planung, organisatorischen und technischen Vorbereitung unter Einschaltung des RSHA ergibt sich zwingend, dass die Haupttäter unter Abwägung des Für und Wider, also mit Überlegung gehandelt haben.

 

bb. Sie haben aber auch den Mordtatbestand des §211 StGB neuer, jetzt gültiger Fassung erfüllt. Sie haben als mittelbare Täter Menschen aus besonders verwerflichen Gründen, nämlich aus niedrigen Beweggründen und grausam i.S. von §211 Abs.2 StGB n.F. töten lassen.

Niedrig ist ein Tötungsbeweggrund, der nach allgemein sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich ist (BGHSt. 3, 132).

Der Beweggrund bei der befohlenen Tötung aller Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht aus rassischen Gründen steht nach allgemein sittlicher Wertung auf der tiefsten Stufe und ist kaum noch zu übertreffen. Die Haupttäter haben dadurch die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtet und die sittliche Verantwortung, vor die jedermann gestellt ist, bewusst so stark verleugnet, dass der Antrieb ihres Tuns keinerlei Rechtfertigung oder Verständnis, sondern nur noch Verachtung verdient (BGHSt. 2, 254).

 

cc. Die Haupttäter haben auch grausam töten lassen. Nach §211 Abs.2 StGB n.F. tötet grausam, wer dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt. Diese Gesinnung braucht nicht im Wesen des Täters zu wurzeln; es genügt, dass sie ihn bei der Tat beherrscht (BGHSt. 3, 180 ff., 264).

Dass es bei der Durchführung dieser Tötungen seitens der mit der Durchführung Beauftragten zu allen möglichen Grausamkeiten kommen wird und dass darunter die Opfer körperlich und seelisch zu leiden haben werden, ist bei einer solchen Massenvernichtung auch gar nicht anders zu erwarten und war ihnen bekannt. Es ist nach den Feststellungen des Schwurgerichts dann auch tatsächlich dazu gekommen. Die Exekutionen an allen drei Orten - in Kowno, Dünaburg und in Kiew - sind unter solchen Umständen erfolgt.

Die Ausführung der Tötungshandlungen war von einer nahezu unbeschreiblichen Gefühllosigkeit und Unbarmherzigkeit der Gesinnung gekennzeichnet. Die Opfer, die in der schrecklichen Gewissheit ihres kurz bevorstehenden, unabwendbaren Todes häufig längere Zeit in unmittelbarer Nähe der Exekutionsstätten warten mussten und dabei das Krachen der Gewehrsalven oder der Pistolen oder der Maschinenpistolenschüsse hörten, in mehreren Fällen den Ablauf der Erschiessungen sogar mit ihren eigenen Augen mitverfolgen konnten, erlitten unermessliche seelische Qualen, die dadurch noch eine Steigerung erfuhren, dass sie sich auf die blutigen Leichen ihrer bereits getöteten Leidens- und auch Glaubensgenossen zu legen hatten. Aber auch die Tötung durch Vergasung im Gaswagen lässt solche seelischen und auch körperlichen Qualen erkennen. Das Schwanken des Gaswagens während der Vergasung und das ausserhalb des Gaswagens vernehmbare dumpfe Schreien und Pochen sind Zeugnis des qualvollen Todeskampfes der Häftlinge. All diese Umstände lassen erkennen, dass bei der Erschiessungen wie bei den Vergasungen grausam i.S. von §211 Abs.2 StGB n.F. getötet wurde.