Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.102

 

Während der Angeklagte E. als Führer des EK 1b den Judenvernichtungsbefehl nur mündlich erhalten hatte, lag er ihm jetzt als KdS von Kiew schriftlich vor. Der Befehl ordnete die Festnahme und "Sonderbehandlung", unter der, wie jeder Angehörige der KdS-Dienststelle wusste, die physische Vernichtung zu verstehen war, aller Juden an. Als Geheime Reichssache verwahrte E. diesen Befehl im Panzerschrank, der in seinem Vorzimmer stand und vom Adjutanten verwaltet wurde. E. gab den Inhalt des Befehls auch, wie es auf einem Beiblatt angeordnet war, mündlich wenigstens den Abteilungsleitern und den Sachbearbeitern der Abtl. IV seiner Dienststelle bekannt. Diejenigen Dienststellenangehörigen, die der Befehl nicht auf diesem Wege erreichte oder die bis zu ihrem Eintreffen bei der Dienststelle in Kiew noch auf keinem anderen Wege Kenntnis von der Judenvernichtung durch Einsatzkommandos und KdS-Dienststellen erhalten hatten, erfuhren alsbald zumindest vom Hörensagen davon, dass auch die KdS-Dienststelle Kiew diesem Befehl unterstand.

Der Angeklagte E. führte diesen Befehl auch als KdS von Kiew aus, obwohl ihm nach wie vor das darin liegende Unrecht bekannt war.

Als treuem und überzeugtem Anhänger des Nationalsozialismus war es für ihn - wie auch schon als Führer des EK 1b - selbstverständlich, den Befehl zu befolgen, ohne seine etwaige Nichtbefolgung ernsthaft ins Auge zu fassen oder Möglichkeiten zu erwägen, sich diesem Befehl auf irgendeine Weise zu entziehen. Wie er hart und unerbittlich gegen sich selbst war, verlangte er dies bei der Ausführung von Befehlen, auch des hier genannten Judenvernichtungsbefehls, ohne Ausnahme auch von seinen Untergebenen, die seine Strenge fürchteten.

 

a. Als die KdS-Dienststelle ihre Tätigkeit aufnahm, war die Zahl der Juden in Kiew durch die Massenvernichtungen des EK 4a unter Blobel am 29./30.9.1941 und durch das Vorgehen des EK 5 unter Meyer schon erheblich dezimiert. Auch war die Ausrottung der Juden nicht die einzige Aufgabe der Dienststelle. Die immer umfangreicher werdende Tätigkeit feindlicher Agenten, Saboteure und Partisanen nahm ein Grossteil ihrer Arbeitskraft in Anspruch. Gleichwohl gingen bei der Dienststelle aus den Kreisen der ukrainischen Bevölkerung von Kiew und seinen Randgebieten anfangs zahlreiche, später jedoch an Zahl immer mehr nachlassende Anzeigen gegen Juden ein, die irgendwo noch versteckt lebten und sich ihrem Schicksal noch hatten entziehen können. Auch wurden von anderen deutschen Wehrmachts-, Zivil- und Polizeidienststellen in gleicher Weise Juden festgenommen und bei Einlieferung in das Gefängnis der KdS-Dienststelle übergeben. Dagegen wurden von der KdS-Dienststelle Fahndungsmassnahmen und Razzien gegen Juden nicht durchgeführt.

 

b. Alle so bei der Dienststelle eingegangenen Anzeigen gelangten im Geschäftsgang über den Adjutanten - von April 1942 bis März 1943 der Angeklagte Brünnert - der sie, soweit erforderlich, auch übersetzen liess, und dem Kommandeur schliesslich zur Abteilung IV (Gestapo) und V (Kripo), deren Leiter bis Juni 1942 der Angeklagte Dr. Schumacher war. Der ihm nachfolgende Leiter, der damalige SS-Obersturmführer Erich Wagner, ist am 23.3.1960 in Untersuchungshaft verstorben; dessen Nachfolger wiederum, der frühere SS-Obersturmführer Ebeling, hat hingegen nicht mehr ermittelt werden können.

Die Anzeigen wurden sodann nach Sachgebieten den einzelnen Sachbearbeitern, bei ungleicher Arbeitsbelastung demjenigen, der gerade am wenigsten Arbeit hatte, zur Bearbeitung zugeteilt. Anzeigen, die Juden betrafen, die allein ihrer Rasse wegen zur Anzeige gekommen waren, wurden in der Regel von dem Judenreferat IV B bearbeitet. Wer dessen Leiter war, hat nicht mehr ermittelt werden können. Es kam aber auch vor, dass solche Vorgänge auch einmal anderen Referaten bei der Abteilung IV übergeben wurden. Bei Vorliegen einer Anzeige wurde der Betreffende dann vom Referatsleiter oder einem Sachbearbeiter darüber vernommen, ob er Jude war. Wurde das festgestellt, so schlug der Sachbearbeiter unabhängig davon, ob gleichzeitig noch eine strafbare Handlung ermittelt worden war, und zwar in diesen Fällen ohne einen Schlussbericht zu fertigen, den Juden befehlsgemäss zur Sonderbehandlung vor.

 

Waren als Saboteure, Agenten, Partisanen etc. angezeigte Personen zufällig auch Juden, dann wurden solche Anzeigen nicht als Judenvorgänge, sondern nach ihrem Sachgebiet