Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.100

 

Alle im Gefängnis eingesperrten Personen wurden eingehend von Sachbearbeitern des Kommandos unter Mithilfe von Dolmetschern vernommen. Der Sachbearbeiter fertigte einen Bericht und machte einen Entscheidungsvorschlag, der entweder auf Freilassung oder auf Exekution lautete; eine andere Möglichkeit der Entscheidung war nicht vorgesehen. Hatte die Vernehmung ergeben, dass die festgenommene Person Jude war, dann war - wie es dann auch stets geschah - auf Exekution zu entscheiden, und zwar auch dann, wenn weder ein todeswürdiges Verbrechen noch sonst eine strafbare Handlung hatte festgestellt werden können. Der Entscheidungsvorschlag wurde von Dr. Schumacher gegengezeichnet. Die Sache wurde sodann Obersturmbannführer Meyer vorgelegt, bei dem die letzte Entscheidung lag, der aber nicht von dem Entscheidungsvorschlag abwich. Hernach ging die Akte zur nur formalen weiteren Behandlung ins Geschäftszimmer zu dem als Zeugen vernommenen früheren SS-Rottenführer Bo.

Die zur Exekution bestimmten Häftlinge einschliesslich der Juden, denen allein ihre Rassezugehörigkeit vorgeworfen wurde, wurden unter der Leitung von Dr. Schumacher vergast. Dazu stand von der Dienststelle des BdS ein sog. Gaswagen zur Verfügung. Er war ein kastenförmiger, möbelwagenähnlicher Lastkraftwagen, der luftdicht zu verschliessen war und ca. 30 Personen aufnehmen konnte. Durch eine eigens dafür eingerichtete Anlage, die vom Fahrer zu bedienen war, konnten die Motorabgase statt nach aussen in das Wageninnere abgeleitet werden. Die Insassen starben dann nach wenigen Minuten.

 

Von seiner Urlaubsrückkehr (ca. 20.1.1942) bis zum Eintreffen des Angeklagten E. in Kiew (Mitte Februar 1942) liess Dr. Schumacher ca. 3-4 Vergasungen durchführen.

Die zur Vergasung bestimmten Häftlinge wurden jeweils am frühen Morgen auf dem Gefängnishof in den Gaswagen verladen und nach noch auf dem Gefängnishof vollzogener Vergasung zu einem von Panzergräben durchzogenen Gelände am Nordrand von Kiew gefahren. Als die Häftlinge den Gaswagen bestiegen, ahnten sie nicht, was ihnen bevorstand; Dr. Schumacher hatte ihnen sagen lassen, dass sie umgesiedelt würden; darum blieben sie auch voll bekleidet und durften auch ihre geringe persönliche Habe mitnehmen. Nachdem sie dann den Gaswagen bestiegen hatten, wurden die Türen dicht geschlossen, und noch auf dem Gefängnishof die Auspuffgase des laufenden Motors in das Wageninnere geleitet. Bald darauf fing der Wagen an, leicht zu schwanken; es war dumpfes Schreien und Pochen zu vernehmen. Die Häftlinge rangen mit dem Tode. Als nach einigen Minuten wieder Stille eingetreten war und der Wagen zu schwanken aufgehört hatte, war das für den Fahrer das Zeichen, dass die Häftlinge nunmehr tot waren. Jetzt fuhr der Gaswagen zum Zielort an den Stadtrand, wo die Toten von einem Begleitkommando ausgeladen und in einen nahen Panzergraben geworfen wurden. Auch Dr. Schumacher war stets selbst zugegen, um von seinen Untergebenen an menschenunwürdigem Erleben und verabscheuungswürdigem Geschehen nicht mehr zu verlangen, als er selbst mit zu erleben bereit war. Beim Öffnen des Gaswagens am Bestattungsort trugen die im Wagen ungeordnet durcheinander halb stehenden, halb liegenden Leichen - Männer, Frauen, Kinder - mit verzerrten und entstellten Gesichtern, mit Erbrochenem besudelt und mit Kot beschmutzt, sichtbar die Zeichen ihres qualvollen Sterbens.

Unter den bei den von dem Angeklagten Dr. Schumacher geleiteten drei bis vier Vergasungen ca. 120 getöteten Personen befanden sich wenigstens 100 Juden, darunter auch Frauen und wenigstens 10 Kinder, die allein ihrer Rassezugehörigkeit wegen umgebracht worden waren. Um welchen Personenkreis es sich bei den übrigen vergasten Personen im einzelnen gehandelt hat, konnte nicht mehr sicher festgestellt werden. Der Angeklagte Dr. Schumacher ist geständig; an seiner Glaubwürdigkeit hat das Gericht keinen Zweifel.

 

3. Die KdS-Dienststelle in Kiew

 

a. Nach dem Eintreffen des Angeklagten E. in Kiew etwa Mitte Februar 1942 nahm die KdS-Dienststelle ihre Tätigkeit auf. Ihre Besetzung war vorerst nur unzureichend, aber alsbald bekam sie auf E.s Drängen beim RSHA in Berlin, wo er angesehen und gut gelitten war, die erforderlichen Personalkräfte, so dass sie etwa im März/April 1942 voll besetzt und voll arbeitsfähig war.